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Alt 07-02-2008, 17:12   #795
Starlight
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Hausbesitzer setzen auf Zwangsräumung

Die Immobilienkrise in Amerika hat es längst an den Tag gebracht: Nachdem die Banken mit verlockenden Niedrigzinsen Kunden ködern wollten, um denen nachher die Monatszahlungen sukzessive hochzuschrauben, sind jetzt gar nicht die Hausbesitzer die Gelackmeierten – sondern die Finanzhäuser selbst. Umso mehr, als auch die Kunden anfangen zu tricksen.

In Kalifornien hat eine Welle begonnen, mit der die Banken nicht gerechnet haben. Immer mehr Hausbesitzer, deren Immobilien im Wert gesunken sind und deren Hypotheken in den nächsten Monaten wegen flexibler Verzinsung teurer werden, schicken einfach keine Schecks mehr. Sie geraten absichtlich in Verzug und warten auf die Räumungsklage.

Sie können sich das leisten, ausgerechnet dank der miesen Tricks der Hypothekengeber. Die haben bekanntlich Millionen von Kunden mit Krediten gelockt, für die zunächst keine oder nur eine minimale Anzahlung nötig war und die dank künstlich gedrückter Zinsen in den ersten zwei oder drei Jahren auch monatlich keine nennenswerten Beträge abzahlen mussten. Vor allem für Haus-Flipper waren diese Hypotheken reizvoll; für Investoren also, die vernachlässigte Immobilien zum Schnäppchenpreis erstanden und dann zum schnellen Weiterverkauf renoviert haben. Wegen der dramatisch sinkenden Immobilien-Nachfrage ist ein Verkauf nun oft nicht möglich – es gibt keine Käufer, die Preise sind im Keller.

Schnellster Ausweg: die „Jingle Mail“. So nennt es die Branche, wenn Hausbesitzer ihre Hypothek absichtlich nicht mehr bezahlen. Denn gleichermaßen könnten sie direkt die Hausschlüssel zur Bank schicken – in deren Briefkasten dürfte es mittlerweile klingeln, oder eben „jingeln“, wie der Amerikaner sagt.

Davis, ein Investor aus Los Angeles, der seinen Nachnamen nicht nennen will, reitet auf der Säumnis-Welle. Er hat vor zwei Jahren für 1 Million Dollar zwei Häuser gekauft, dabei keinen Dollar anbezahlt und nur geringe Monatsraten abgestottert. Seine Zahlungen werden aber demnächst um mehrere hundert Dollar pro Monat angehoben werden, während der Wert für beide Investment-Immobilien bereits um mehr als 100 000 Dollar gesunken ist. David sieht keinen Reiz weiterzuzahlen – zumal er angesichts seines minimalen bisherigen Einsatzes so gut wie nichts zu verlieren hat.

Selbst die langfristigen Folgen schocken den Investor nicht: Ihm droht höchstens ein Verlust seiner Kreditwürdigkeit. Damit ist in Amerika zwar nicht zu spaßen, weil sich ohne den richtigen „credit score“ nicht einmal ein Handy-Vertrag abschließen lässt. Doch kann man mit zuverlässigen Zahlungen an andere Schuldner – etwa Stromversorger oder Kreditkartenbanken – den eigenen Wert schnell wieder steigern. Schneller jedenfalls als nach einem persönlichen Konkurs, der vielen Investoren drohen würde, wenn sie sich nicht auf „Jingle Mail“ einließen.

Kreditexperten gehen davon aus, dass ein Investor wie David seine Kreditwürdigkeit schon in zwei Jahren so hochschrauben kann, dass er als Hauskäufer wieder in Frage kommt. Nach einem Konkurs dauert das mindestens drei Jahre.

Interessanterweise lassen sich nicht nur Investoren auf die Säumnis-Taktik ein. Für die ist es zwar am einfachsten, doch deuten Statistiken der Hypotheken-Beoabchter Experian darauf hin, dass auch immer mehr Familien eine Räumungsklage provozieren. Das hängt damit zusammen, dass sie meist nicht nur Hypotheken- sondern auch andere Schulden haben – meistens auf Kreditkarten. Da sind die Zinsen höher und die Schulden müssen daher schneller getilgt werden.

Auf die Banken kommt nun ein neues Problem zu: Nicht nur fehlen die Rückzahlungen und Zinseinkünfte im Hypothekengeschäft, es entstehen auch noch hohe Kosten für die Abwicklung der Zwangsräumungen. Und dann stellt sich die Frage: Wohin mit den geräumten Immobilien? Kaufen will sie ja keiner, und der Wert verfällt von Woche zu Woche. Damit ist eines klar: Bei der Immobilienkrise in den USA ist kein Ende in Sicht.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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