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Alt 30-11-2007, 18:07   #781
Starlight
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Der Tannenbaum als Konjunkturfaktor

Als 1931 am Rockefeller Center erstmals ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, war dieser gerade einmal sechs Meter hoch. Seither fällt der Baum jedes Jahr ein wenig mächtiger aus, in diesem Jahr misst die Fichte mehr als 25 Meter – sie wird zigtausende Besucher begeistern, die sich ihren eigenen Baum immer weniger leisten können.

Denn in Zeiten hoher Inflation werden eben nicht nur Sprit und Lebensmittel teurer. Auch der Weihnachtsbaum kann dem Preistrend nicht entgehen – schon gar nicht in Manhattan. Das allerdings hat gar nicht so sehr mit den steigenden Preisen in der Forstwirtschaft zu tun, als mit der Platzmiete, die die Verkäufer in den Straßen der Millionenstadt entrichten müssen.

Anders als im Rest der USA geht es für den Immobilienmarkt in New York nämlich nach wie vor steil nach oben, und das betrifft Kaufpreise und Mieten. Auch Gehweg-Mieten, wohlgemerkt. Scott Lechner, der seit 25 Jahren seine Bäume an einer der besten Kreuzungen im Künstlerviertel SoHo verkauft, zahlt in diesem Jahr das Fünffache dessen, was noch vor einigen Jahren fällig war: Von 2500 Dollar wurde die Standmiete kontinuierlich auf die aktuellen 12 500 Dollar geschraubt.

Was bleibt dem Mann anderes übrig, als die höheren Kosten zumindest teilsweise an die Kundschaft weiterzugeben. Dabei ist Lechner seiner Klientel gegenüber äußerst fair: Zunächst will er die Preise so niedrig wie möglich halten und die Mehrausgaben über höheres Verkaufsvolumen ausgleichen. Doch das dürfte nicht leicht sein, denn immer weniger New Yorker mühen sich mit Fichte und Tanne ab – sie steigen auf Plastik um.

Viele tun das der Natur zuliebe. Ihretwegen soll in den Wäldern Amerikas – die meisten Bäume kommen aus Oregon, North Carolina, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und Washington – kein Baum gefällt werden, auf dass er für vier hektische Wochen Weihnachtsfreude stifte. So standen im letzten Winter in 9,3 Millionen US-Haushalten künstliche Bäume, während echte Bäume noch in 28,6 Millionen Haushalten nadelten.

Die National Christmas Tree Organisation (NCTO) – in den USA gibt es für alles einen Branchenverband! – will diesen Trend umkehren. Aus gutem Grund: Unter allen Resourcen, die in Amerika ohne Reue verschleudert werden, ist ausgerechnet der Weihnachtsbaum eine schnell nachwachsende. Für jeden gefällten Baum werden im Schnitt drei neue Setzlinge gepflanzt. Zudem werden die meisten Bäume nach Weihnachten recyclet. Der Rockefeller-Baum wird traditionell zu Bauholz für „Habitat for Humanity“ geschnitten, einer wohltätigen Organisation, die Häuser für Bedürftige baut.

Plastikbäume hingegen, so die NCTO mögen zwar ein paar Jahre lang halten, sind aber nicht biologisch abbaubar und belasten die Natur damit langfristig.

Auch aus konjunktureller Sicht empfiehlt man den Amerikanern den echten Baum. Der kommt nämlich mit Sicherheit aus dem eigenen Land, wo mehr als 30 000 Farmen auf 180 000 Hektar Anbaufläche mehr als 100 000 Mitarbeiter beschäftigen. Der Plastikbaum wird hingegen aus China importiert und trägt damit seinen Teil zum hohen Handelsdefizit bei. Zudem genügen viele Kunstbäume nicht den amerikanischen Sicherheitsvorschriften: Sie sind oft mit bleihaltiger Farbe bearbeitet, wie sie zuletzt auch in zahlreichen Spielwaren aus China nachgewiesen wurde. Damit drohen nicht nur die Geschenke unter dem Baum zum Gesundheitsrisiko zu werden, sondern auch der Baum selbst.

Ganz wie bei den Spielwaren dürften viele amerikanische Verbraucher in der laufenden Weihnachtssaison wieder auf einheimische Produkte umstellen. Damit gibt es für die geplagten Baumverkäufer auf New Yorks teuren Gehwegen zumindest einen Hoffnungsschimmer.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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