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Alt 02-11-2007, 20:20   #770
Starlight
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Zwischen Golf, Bridge und Fond-Pleiten

Die amerikanischen Finanzriesen stürzen von einer Krise in die nächste. Während die Kreditkrise die Häuser Milliarden kostete, bahnte sich in der Chef-Etage das nächste Problem an: eine erschreckende Führungskrise. Kaum ein Top-Manager der Branche, der zur Zeit nicht unter Beschuss steht.

Niemand sitzt zur Zeit auf so wackligen Stühlen wie die CEOs der großen Banken und Investmenthäuser. Bei der Citigroup warten Anleger seit Monaten darauf, dass Chuck Prince geht, der die Wachstumsstrategie seines Vorgängers nicht erfolgreich ausbauen konnte und den Kurs der Aktie auf ein Fünf-Jahres-Tief stürzen lassen hat. Bei Merrill Lynch ist Stan O´Neil gerade über seine Fehlentscheidungen gestolpert. Doch keine Geschichte ist so kurios wie die um James Cayne, den CEO von Bear Stearns.

Cayne war in dieser Woche Gegenstand eines Aufmachers im Wall Street Journal, der dem langjährigen Firmenlenker nicht nur Inkompetenz unterstellte, sondern auch noch Gleichgültigkeit und Drogenkonsum. Der 73-Jährige soll während eines Bridge-Turniers auf einer Toilette einen Joint geraucht haben, und auch in privater Runde sei dem Mann der Genuss von Marihuana nicht fremd.

Von Cayne kam ein interessantes Dementi: Der Klo-Vorfall habe sich nie ereignet, heißt es. Weiteren Drogenkonsum indes stritt man nicht ab, da derart allgemeine Fragen nicht kommentiert würden.

Ob James Cayne beim Bridge kifft oder nicht wäre selbst in konservativen Kreisen an der Wall Street wahrscheinlich nie ein großes Thema geworden. Würde Cayne nicht sehr oft Bridge – und Golf – spielen, regelmäßig während der Arbeitszeit und besonders häufig im vergangenen Sommer, als Bear Stearns mitten in die Hypothekenkrise rutschte und als eine der am schlimmsten betroffenen Banken zwei milliardenschwere Fonds dicht machen und abschreiben musste.

Am schlimmsten ging es bei dem Traditionshaus an der Wall Street im Juli zu. Da kollabierten die Fonds, doch war Cayne meist nicht greifbar. An 10 von 21 Arbeitstagen spielte er Bridge und Golf, gemäß den jeweiligen Club-Statuten ohne Handy oder Blackberry – also unerreichbar.

Seit August scheint die häufige Abwesenheit des Chefs zur Regel geworden zu sein. Laut dem Wall Street Journal erhob es Cayne zu seinem wöchentlichen Ritual, das Büro am Donnerstagmittag zu verlassen, um per Helikopter zu seinem Country Club in New Jersey zu fliegen und dort noch am Nachmittag eine Runde Golf spielen zu können. Freitag, Samstag und Sonntag gehörten ebenfalls dem Spiel und hin und wieder den Enkeln. Höchst unregelmäßig soll sich Cayne per Telefon in seinem Vorzimmer gemeldet haben um eventuelle Nachrichten zu empfangen.

Doch nicht nur im eigenen Haus fehlte Cayne offensichtlich ständig. Auch eine Telefonkonferenz mit Analysten beendete er frühzeitig, und bei Treffen mit Geschäftspartnern und Besuchern soll er Insidern zufolge zumindest abwesend gewirkt haben. Mitte Juli soll er bei einem Meeting statt über das aktuelle Marktumfeld lieber über seine Müsli-Allergie und einen Vorrat an (illegalen) kubanischen Zigarren referiert haben.

Joint hin, Havanas her – im eigenen Unternehmen genießt James Cayne Rückhalt. Vorstandsmitglieder sagen, der CEO sei häufig genur anwesend und führe das Unternehmen „durch effektives Delegieren“. Manchen Investoren dürfte das indes zu wenig sein, immerhin verdient der Mann ein Grundgehalt von 34 Millionen Dollar pro Jahr. Dazu kommen Optionen auf Bear-Stearns-Aktien, die sich über die Jahre auf mehr als eine Milliarde Dollar summiert haben.

Vor diesem Hintergrund ist klar, dass Caynes Stuhl zur Zeit nicht des stabilste ist. Das wiederum bringt die Analysten von Punk Ziegel auf einen Gedanken: Angesichts des Stolzes von James Cayne geht man davon aus, dass der Mann die Firma lieber verkaufen würde als einen unehrenhaften Abgang zu riskieren. Entsprechend setzt man Bear Stearns als einzige Aktie des Sektors auf „Kaufen“, da das Unternehmen ein interessanter Übernahmekandidat sei.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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