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Alt 02-05-2007, 20:33   #15
Starlight
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„Verkauf im Mai…“

In den letzten Wochen konnte nichts und niemand die amerikanischen Börsen aufhalten. Die Blue Chips kletterten von einem Allzeithoch zum nächsten, und am Montag stehen sie wieder im Plus. Jetzt droht das Ende der Rallye aufgrund einer alten Börsen-Weisheit, die viele Spekulanten aus dem Markt treiben könnte.

„Sell in May and go away“, heißt es auf dem Parkett, auf gut Deutsch: „Verkauf im Mai, und nimm dir frei!“

Das Motto geht auf den Stock Trader´s Almanac zurück, die Börsen-Bibel, die seit vierzig Jahren sämtliche wichtigen Statistiken rund um die Wall Street sammelt und auswertet – und bisweilen in handliche Verse packt. Keine Binsenweisheiten, wohlgemerkt, sondern handfeste Regeln, die sich über Jahrzehnte bewahrheitet haben.

„Sell in May…“ gehört zu den bekanntesten Strategien des Almanach, weil sie sehr einfach ist. In der Monatsabrechnung seit 1950 sind November, Dezember, Januar, April und März (in dieser Reihenfolge) die stärksten Börsenmonate. Der Februar mag eine Niete sein, ist aber zu vernachlässigen, wenn es darum geht, einfache Investmentregeln zu formulieren. Der Almanach errechnet folglich, wie lohnend ein halbjährlicher Wechsel zwischen Aktien und Festgeld ist.

Das erstaunliche Ergebnis: Wer 1950 einen Betrag von 10 000 Dollar von November bis April in Aktien und von Mai bis Oktober in Festgeld investiert hat, blickt heute auf ein Portfolio von 534 323 Dollar. Wer halbjährlich genau umgekehrt investierte, hat einen Verlust von 272 Dollar gemacht. Wird die Strategie um einige technische Indikatoren erweitert, um den Ein- und Ausstieg in Aktien besser zu timen, fällt der Vergleich dreimal so deutlich aus.

Über die Gründe dieser beachtlichen saisonalen Schwankung schweigt sich der Almanach aus. Es gibt aber einige Ansätze, die den Trend erklären könnten. Zum einen werden bis Anfang Mai die ausstehenden Steuerrückzahlungen an Verbraucher und Unternehmen beglichen, danach versiegt dieser Geldzufluss bis zur nächsten Abrechnungssaison.

Zum anderen tragen die Sommerferien ihren Teil zum Anlegerverhalten bei. Im Sommer verbringen die Amerikaner mehr Zeit am Strand als im Büro. Das Handelsvolumen sinkt in der Urlaubszeit und mit ihm das Kurspotenzial der Aktien. Ganz ähnlich verhält es sich auf Unternehmensseite, wo durch die Urlaubssaison die Geschäfte langsamer laufen.

Während diese allgemeinen Muster auch im laufenden Jahr gelten, ist die Wall Street mit Blick auf den Mai-Indikator – wie so oft – gespalten. Eine einfache Statistik könne nie und nimmer die laufende Dow-Rallye stoppen, meinen die Bullen. Immerhin seien die Blue Chips gerade auf Rekord-Höhen geklettert.

Ein Grund mehr zu verkaufen, halten die Bären dagegen. Nachdem der wichtigste amerikanische Aktienindex im April um 6,4 Prozent und seit Oktober um 8,6 Prozent zugelegt hat, sei eine Korrektur über den Sommer ohnehin nicht zu vermeiden. Da gelte es rechtzeitig auszusteigen. Ein Argument stützt auf jeden Fall die Bären: Da der Regel „Sell in May…“ viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, dürfte sie mittlerweile zur selbsterfüllenden Prophezeihung geworden sein.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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