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Alt 27-02-2007, 19:11   #626
Starlight
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Die China-Ausrede

Wenn Amerika niest, bekommt die ganze Welt einen Schnupfen. Das wissen Volkswirte schon lange. Dass die Infektion auch andersrum laufen kann, lernt die Wall Street am Dienstag. Die chinesischen Börsen sind steil eingebrochen, und Indizes auf der ganzen Welt – von Bombay über Frankfurt bis nach New York – sehen rot.

Zwar verliert keiner der internationalen Indizes ganz so deutlich wie der chinesische Markt. Der Shanghai Composite gab zeitweise 10 Prozent ab und schloss mit einem Minus von 8,8 Prozent, was dem steilsten Tagesverlust seit mehr als einem Jahrzehnt entsprach. Damals, am 19. Februar 1997, stürzten die China-Aktien in Reaktion auf den Tod des Reformers Deng Xiaoping.

Auch die aktuellen Einbußen haben mehr mit politischen Bedenken zu tun als mit wirtschaftlichen oder gar unternehmensspezifischen Problemen. Die Citibank berichtet von Gerüchten, dass der Chef der chinesischen Börsenaufsicht seinen Platz räumen soll. Insider fürchten, dass sein Nachfolger drastischere Maßnahmen gegen Aktienspekulanten einführen könnte.

Die Experten bei Brown Brothers Harriman rechnen mit solchen und ähnlichen Maßnahmen, mit denen die Chinesen inmitten ihres rasanten Wirtschaftswachstums eine Blase verhindern wollen. Mögliche Auflagen könnten Anfang März beschlossen werden, denn dann tagt die Volksversammlung.

Die Unsicherheit in China schlug sich am deutlichsten auf die übrigen asiatischen Börsen durch und drückte die Indizes in Hongkong, Singapur und Malaysia. Auch die übrigen Wachstumsländer, darunter Russland, Indien und Brasilien, gaben nach.

Dass die amerikanischen Börsen mit den Verlusten ein so großes Problem haben – zur Mittagsstunde notieren die Blue Chips immerhin mit einem Plus von 170 Zählern – hat mit der steigenden Abhängigkeit der Amerikaner von chinesischen Produkten zu tun. Wie der monatliche Blick auf die Handelsbilanz zeigt, wächst das Defizit mit China laufend. Und doch ist unklar, wovor sich Anleger in US-Aktien fürchten, denn mit einer Wirtschaftskrise und einem Exportstopp in China ist ja nicht zu rechnen.

Auf dem Parkett sind entsprechend viele Experten der Meinung, dass China nicht mehr als eine Ausrede ist. Die US-Börsen haben eine gewaltige Rallye hinter sich, die großen Indizes handeln auf Rekord-Niveau, die Blue Chips gar auf einem Allzeit-Hoch. Eine Korrektur ist überfällig, schon aus technischer Sicht.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Anleger nach wochenlang nur gemischten konjunkturellen Nachrichten einfach auf eine Meldung gewartet haben, dass sich als Verkaufs-Signal interpretieren lassen würde. Genau die haben sie nun aus China bekommen, während die wahren Gründe für die meisten Aktienverkäufe am Dienstag mit dem schwachen Immobilienmarkt, der Hypothekenkrise, Warnungen einiger Notenbanker und anderen Binnen-Faktoren zu tun haben dürften.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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