Ende der alten Regeln
Von Bernd Niquet
Viele Leute wundern sich über den vehementen Anstieg und das enorme Niveau der Aktienkurse in unserem Land und auf der ganzen Welt. Dass es so etwas überhaupt innerhalb einer Generation noch einmal geben konnte. Nach diesem Crash vorher. In Deutschland hatten wir nur wenig vorher einen Abstieg erlebt, der extremer war als in den Jahren 1929 bis 1933. Doch es dauert nur wenige Jahre und wir stehen wieder am Top (wenn wir die Telekommunikation herausrechnen).
Alles sieht danach aus, als ob geschichtliche Regelmäßigkeiten keine Rolle mehr spielen. Die alten Regeln gelten nicht mehr. Allerdings nicht nur an der Börse, sondern überall. Und wer die Börse begreifen will, muss sie stets als in die generelle zeitliche Entwicklung eingeordnet begreifen. Im Juni 2000 habe ich dazu ein Buch mit dem Untertitel „Euphorie und Crash der Technologieaktien im Spiegel des Zeitgeistes“ veröffentlicht (1000 Prozent Gewinn – Euphorie und Crash der Technologieaktien im Spiegel des Zeitgeistes, FinanzBuch Verlag, München 2000). Langsam wird es Zeit für ein weiteres.
Ich mache es einmal mit dem Holzhammer: Was taten Gesellschaften historisch, um ihren Bestand zu sichern? Sie gingen sparsam mit Ressourcen um, waren sparsam, legten in guten Zeiten für schlechte zurück, hielten im Inneren eine stabile Ordnung, beseitigten Kriminelle und töteten ihre Feinde.
Und was machen wir heute? Wir tun in allen Punkten genau das Gegenteil! Und was ist das gemeinsame Moment aller dieser Punkte? Es ist die Zeit! Alle unsere Aktionen sind nicht mehr auf die Bewahrung eines stationären Gleichgewichts gerichtet, sondern auf eine Maximierung der Bedürfnisbefriedigung im Hier und Heute.
Völlig parallel dazu verläuft das Geschehen an den Finanzmärkten. Denn große Vermögen gab es schon immer. Doch wie setzte man früher die großen Vermögen ein? Sie ließen ihre Besitzer zu „Rentiers“ werden. Ein „Rentier“ ist jemand, der seinen Lebensunterhalt aus einer festen Rente erzielt, also aus einem garantierten Zinseinkommen. Das Vermögen wird wirtschaftlich eingesetzt und garantiert einen jährlichen Zins.
Heute hingegen ist aus dem immer wiederkehrenden Zinsstrom ein großes Spiel um die Bestandswerte geworden. Regelmäßige Zinseinkommen genügen niemandem mehr. Heute ist Dynamisierung erforderlich. Es reicht nicht mehr, einen Wechsel auf die Zukunft zu ziehen, der ein fixes Jahreseinkommen garantiert, heute muss der Wechsel selbst noch an Wert zulegen, sonst ist er uninteressant.
Wir legen also alles, was wir haben, auf den großen Spieltisch – und los geht das Spiel. Und da die überwiegende Mehrheit sich einig ist, dass es besser ist, reich als arm zu werden, bringt dieses Spiel – von wenigen temporären Unterbrechungen abgesehen – ganz wunderbare Früchte hervor. Es geht aufwärts und aufwärts in jedem Jahr. Wir steigen in die Lüfte. Wie die Schwefeldüfte. Und kein Ende in Sicht. Ist ja auch niemand drauf erpicht. Doch plötzlich ungeheuer, nein, es ist kein Feuer, sondern etwas völlig Neues.
Doch darauf reimt sich nichts.
Anregungen oder Kritik bitte an Bernd Niquet
Quelle: instock
__________________
Schöne Grüße
OMI
|