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Alt 08-02-2007, 20:02   #619
Starlight
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Keine Werbung auf dem Plastik-Hirn

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Niemand weiß das besser als die Marketing-Experten in der Pharma-Industrie. Seit eh und je schenken sie Ärzten daher allen möglichen Krimskrams, vom Herz-Kreislauf-Poster über den Tesa-Abroller bis zur teuren Wanduhr für das Sprechzimmer. Amerikanische Mediziner wollen dieser Praxis nun ein Ende machen.

Einige medizinische Hochschulen in den USA ändern gerade ihre Statuten und verbieten ihren Forschern und Ärzten, irgendwelche Geschenke aus der Pharma-Industrie anzunehmen. An der Universität von Los Angeles mussten vom Studenten bis zum Dean alle Mitarbeiter ihre Schreibtische ausräumen.

„Es ist ganz erstaunlich, wie viele Werbeartikel wir gefunden haben“, meint Psychiatrie-Professor Dr. Andrew Leuchter. Vom Kugelschreiber über Schreibblocks bis hin zu Plastikmodellen des menschlichen Gehirns sei alles mögliche mit Pharma-Logos und Medikamenten-Slogans bedruckt gewesen – alles musste raus.

Dass ausgerechnet die nicht gerade liquiden Hochschulen künftig auf Schmiere aus der Industrie verzichten, ist ein bemerkenswerte Schritt – und ein notwendiger, wie die Belegschaft der renommierten Harvard Medical School meint. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich Angewohnheiten aus der Ausbildung später in das Berufsleben übertragen“, so die Experten in einem Aufruf an die Kollegen. „Wir müssen eine Führungsrolle für die Ärzte im ganzen Land übernehmen.“

Am Stanford University Medical Center hat man konsequenterweise die von Pharma-Unternehmen gesponserten Mittagessen abgestellt, bei denen Verkaufsvertreter Ärzte und Studenten dreimal wöchentlich über neue Produkte aufgeklärt haben. Die Unternehmen finden diesen Schritt überzogen. Ärzte seien oft so gestresst, dass sie höchstens beim Lunch Zeit für Weiterbildungen hätten, verteidigt sich Pharma-Lobbyist Scott Lassmann. „Wir haben es für angemessen gehalten, das Essen dann auch zu bezahlen.“

Dabei wissen Lassmann und seine Auftraggeber genau, wie einflussreich solche kleine Gesten sind. Die regelmäßigen kleinen Geschenke beeinflussen den Arzt in seinen Entscheidungen, wie zahlreiche Studien belegen. Vor allem für Pharmazeuten, deren Pillen nach Auslaufen des Patentschutzes von Konkurrenz durch Generika bedroht sind, kann es sich durchaus lohnen, den verschreibenden Ärzten ab und an eine kleine Aufmerksamkeit zu schenken und so den Markennamen präsent zu halten.

Wie sehr die Industrie in den letzten Jahren auf die unterbewusste Wirkung von kleinen Geschenken gesetzt hat, zeigen die Zahlen. Ganze 90 Prozent des etwa 25 Milliarden Dollar schweren Werbe-Etats der Pharma-Branche gehen direkt an die Ärzte – in Form von Einladungen, Werbegeschenken und Probepäckchen.

Diese wiederum werden die Universitäten auch in Zukunft annehmen, denn deren Verfügbarkeit kommt direkt dem Patienten zugute. Vor allem für unterversicherte oder gar nicht versicherte Patienten ist es oft eine große Erleichterung, wenn der Arzt eine Wochenration Antibiotika nicht extra auf die Rechnung setzen muss.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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