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Alt 29-11-2006, 22:35   #590
Starlight
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Das (Weihnachts-)Lied von der Inflation

Es weihnachtet sehr an der Börse. Am Freitag wird an der Wall Street der Weihnachtsbaum offiziell angeknipst, das Weihnachtsgeschäft bestimmt schon seit Tagen die Aktien der Einzelhändler, und nun hält das Fest auch noch für einen Inflations-Index her – der ist nicht ganz ernst gemeint, zeigt aber doch interessante Trends auf.

Seit Jahren nämlich messen die Analysten der PNC Bank die Inflation im Land nicht nur anhand der Erzeuger- und Verbraucherpreise. Nein, einmal im Jahr kramt man eine sehr traditionelle Einkaufsliste zusammen, die in Amerika jedes Kind kennt. Sie ist Inhalt des Weihnachtsliedes „The twelve days of Christmas“ und zählt auf, was der Held seiner Liebsten in den Tagen vor dem Fest schenkt.

Das fängt ganz bescheiden an mit einem „Rebhuhn in einem Birnbaum“. Hinter diesem Geschenk allerdings verbrigt sich schon ein hoher Inflationsfaktor. Während der Preis des Huhns gegenüber den vergangenen Jahr unverändert ist, hat der Preis für einen Birnbaum um 44 Prozent zugelegt – die hohe Nachfrage nach Zierbäumen aus einem bis vor kurzem noch boomenden Häusermarkt ist schuld.

Um 20 Prozent haben sich die „vier singenden Vögel“ verteuert, die den Liebenden in diesem Jahr 480 Dollar kosten, ansonsten sind die Preise für die Geschenke der ersten Tage durchweg konstant geblieben. Unter ihnen sind weitere Tiere (Tauben, Hennen, Gänse, Schwäne) aber auch fünf goldene Ringe. Nun ist der Goldpreis an den Rohstoffmärkten in den vergangenen zwölf Monaten zwar gestiegen, den Schmuckhandel hat das laut der PNC Bank aber nicht belastet: Die vier Ringe schlagen wie im Vorjahr mit 325 Dollar zu Buche.

Je näher das Fest rückt, desto festlicher wird es im Weihnachtslied – aus ist´s mit einfachen Geschenken. Für frische Milch sorgen „acht melkende Mägde“. Deren Preis ist gleich geblieben. Das Melken zählt zu den ungelernten Arbeiten in der Landwirtschaft und wird mit Mindestlohn beglichen, der seit Jahren unverändert bei 5,15 Dollar pro Stunde notiert.

Die Lohninflation im Unterhaltungsbereich ist deutlich größer, und die macht Weihnachten nun teuer – jedenfalls nach dem bekannten Lied. Für „neun tanzende Damen“ gilt es in diesem Jahr mit 4576 Dollar 4 Prozent mehr zu berappen als im Vorjahr. „Zehn springende Herren“ kosten mit 4039 Dollar 3 Prozent mehr, die „elf pfeifenden Pfeifer“ verlangen für ihr Gastspiel einen Aufschlag von 3,4 Prozent, gleiches gilt für die „zwölf trommelnden Trommler“, die am letzten Tag den Weihnachtsreigen abrunden.

An der Wall Street gehen die Erkenntnisse aus dem Weihnachts-Index nicht spurlos vorbei. Konjunktur-Beobachtern fällt sofort auf, dass erstmals seit neun Jahren die Lohnkosten stärker zugelegt haben als die durchschnittliche Inflation. Für viele könnte das ein ernst zu nehmendes Signal sein, und sei es auch nur, weil es für einmal um eine Tatsache geht und nicht – wie oft in den Reden der Notenbanker – um eine Vermutung oder Prognose.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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