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Alt 14-11-2006, 18:47   #585
Starlight
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Pilgerfahrt nach Washington

In schweren Krisen unternahmen Menschen schon immer Pilgerfahrten, um sich Heilung zu erbitten. Dieser lieben Tradition folgen am Dienstag die Chefs der drei großen Automobil-Hersteller, die gleichwohl nicht an eine heilige Stätte reisen, aber zumindest nach Washington, um sich von der Regierung retten zu lassen.

Rick Wagoner von GM, Alan Mulally von Ford und Tom LeSorda von DaimlerChrysler könnten Glück haben. Wider alle Erwartungen könnten ausgerechnet sie vom Wahlsieg der Demokraten profitieren, obwohl mit deren Machtübernahme in Washington auch manches Gesetz droht, dass die Unternehmen auf neue Wege zwingen wird. Mit einem demoratisch geführten Kongress kann es ungemütlich werden für die Autobauer, doch ist auch Rettung in Sicht.

Denn den Demokraten liegt an einer umfassenden Gesundheitsversorgung für alle Amerikaner, und im Zuge einer Reform wollen sie sich für Verbesserungen bei Medicare einsetzen, der staatlichen Krankenversicherung. Die folgt zur Zeit seltsamen Richtlinien, die unter Präsident Bush beschlossen worden sind. So werden für Rentner beispielsweise die Kosten für Medikamente bis zu 2250 Dollar pro Jahr übernommen. Ausgaben darüber müssen die Rentner selbst tragen, bis sie eine Marke von 5100 Dollar erreichen und der Versicherungsschutz wieder einspringt.

Während Rentner in den ganzen USA persönlich unter dieser Regelung leiden, geht es all denen gut, die einmal bei GM und Ford am Band standen. Deren Kosten im Bereich zwischen 2250 und 5100 Dollar werden nämlich von den früheren Arbeitgebern übernommen, wie es im Tarifvertrag steht.

Den Unternehmen passt das nicht, die hohen Renten haben die Margen schon immer gedrückt, durch die sonderbare Regelung in der Krankenversicherung sind die Lohnnebenkosten noch stärker gestiegen. Das könnte sich jetzt ändern, wenn die Demokraten das Loch schließen und die staatliche Krankenversicherung für alle Beträge einspringen lassen. „Die großen Drei“ könnten jährlich bis zu 500 Millionen Dollar sparen.

Ganz umsonst werden die Unternehmen ein solches Geschenk nicht bekommen, zumal es die Amerikaner teuer zu stehen käme. Die Gesundheitsreform soll Experten zufolge bis zu 200 Milliarden Dollar kosten – allerdings sind soziale Ausgaben eine Priorität für die Demokraten, die wiederum in anderen Bereichen sparen und beispielsweise die Steuervergünstigungen an die Großindustrie senken oder abschaffen wollen.

Die Gegenleistung, die sich die Demokraten wohl von den Automobilfirmen erbitten, sind Reformen bei der Effizienz der Vehikel. Dass GM und Co. seit einigen Jahren Fahrezeuge auch mit Ethanol-Motoren anbieten, reicht nicht aus, zumal es in ganz Amerika weniger als 1000 Tankstellen mit dem Benzin-Mix gibt. Vielmehr dürften die Demokraten für eine drastische Anhebung der Laufleistung pro Liter Benzin eintreten. Dass würde die Konzerne unter Druck bringen, deren größte Margen im Truck- und SUV-Bereich liegen – also bei den Spritschleudern.

Anders als die exorbitanten Kosten für die Krankenversicherung ist das Problem der effizienteren Fahrzeuge aber eines, das die Unternehmen selbst lösen können und müssen. Sie hatten auch lange genug Zeit, haben sich aber in den letzen Jahren mit Rückendeckung aus Washington um neue Technologien nicht bemühen müssen. Bestraft werden sie für ihre Trägheit wohlgemerkt nicht erst jetzt, sondern schon seit Jahren vom Verbraucher. Denn angesichts hoher Spritpreise kauft mittlerweile auch der patriotischste Amerikaner beim Japaner, weil es bares Geld spart.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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