Die Wall Street und die Wahlen
Auf den ersten Blick ist alles ganz einfach: Gewinnen die Republikaner die heutigen Kongresswahlen, klettert die Börse weiter. Gewinnen die Demokraten die Mehrheit, brechen die Börsen ein. Doch so leicht lässt sich der Handel nur kurzfristig vorhersagen, die langfristigeren Prognosen sehen ganz anders aus.
Die Wall Street ist zu komplex, als dass sich der Ausgang der Kongresswahlen in zwei Sätzen zusammenfassen ließe. Entsprechend legen die Analysten von Merrill Lynch auch Wert darauf, dass ihre Vorhersagen nur kurzfristig zu nehmen sind: Eine kurze Rallye, wenn die Republikaner stärker abschneiden als es zuletzt schien, und eine kurze Korrektur, wenn die Demokraten die Mehrheit in beiden Häusern holen.
Darüber hinaus ist eine anhaltend gute Performance der Aktienmärkte naheliegend, denn der Handel setzt sich schon seit geraumer Zeit mit großem Optimismus über politische oder andere Bedenken hinwegsetzt. Seit Monaten klettern die großen Indizes von einem auf das nächste Hoch, obwohl hin und wieder Zahlen und Daten gemeldet werden, die eine Korrektur durchaus nahelegen könnten.
Das beste Szenario für die Wall Street indes scheint eines zu sein, vor dem den Wählern graut: Die Demokraten holen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, die Republikaner halten den Senat. Damit wäre die Regierung für die nächsten zwei Jahre weitgehend blockiert, große Reformen könnten nicht stattfinden. Das wäre Investoren nur recht, denn es läuft ja ganz gut zur Zeit – jeder drastische Richtungswechsel in Washington gefährdet also die Gewinne, an die man sich zuletzt gewöhnt hat.
Viel lieber als den gesamten Markt betrachten Experten am Wahltag aber einzelne Branchen. Bei einem Sieg der Demokraten gibt es – der allgemeinen, oberflächlichen Einschätzung entsprechend – klare Verlierer, allen voran die Rüstungswerte. Zwar dürften die Demokraten die Verteidungsausgaben nicht einfach so kürzen, doch dürften zahlreiche Aufträge künftig mit mehr Wettbewerb ausgeschrieben und strenger verhandelt werden. Gefälligkeits-Deals wie zahlreiche der Aufträge für Halliburton würden wohl der Vergangenheit angehören, ebenso wie die gefällige Behandlung der Öl- und Gas-Riesen. Für die wären Sondersteuern auf die jüngsten Rekordgewinne ebenso möglich wie hohe Auflagen im Zusammenhang mit der Förderung.
Unter den Verlierern fände sich auch der Pharma-Sektor, ein besonderer Liebling der Bush-Regierung. Unter einer demokratischen Mehrheit dürften die staatlichen Krankenkasen schnell das Recht bekommen, Preise für Medikamente wieder mit den Unternehmen zu verhandeln. Das durften sie zuletzt nicht, was Pfizer und Co. hohe Margen sicherte.
Es dürfte unter einer demokratischen Mehrheit aber auch zahlreiche Gewinner geben, und dazu gehören nicht nur die klischeemäßig dauernd angeführten Umwelt-Werte. Diese, vor allem Unternehmen in der Gewinnung alternativer Energien, dürften zwar profitieren, aber auch andere Sektoren, wie etwa die staatlich unterstützten Kredit-Institute wie Fannie Mae und Freddie Mac. Diese Firmen, die Hypotheken finanzieren, dürften mehr Gewicht bekommen, während es Banken schwerer fallen dürfte, Abzock-Kredite mit Wucherzinsen am Markt zu halten.
Unter den mölichen Gewinnern im Rahmen eines Sieges der Demokraten sehen Analysten auch den Metall-Sektor. Der litt zuletzt stark unter Importen, die Washington einschränken könnte. Obwohl es genug Kritiker gibt, die jede Form von Protektionismus für marktschädigend halten, liegt auf der Hand, dass Alu- und Stahl-Aktien zulegen dürften, wenn Lieferungen aus dem Ausland mit Einfuhrtarifen belegt würden.
Die amerikanischen Börsen dürften wohl bereits im Mittwochshandel – also wenige Stunden nach Bekanntwerden der Ergebnisse – auf den Ausgang der Kongresswahlen reagieren. Anhaltende Bewegungen dürften sich aber erst über einen langfristigeren Zeitraum einstellen.
Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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