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Alt 13-08-2006, 12:19   #138
621Paul
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Sie wollten es nicht einmal hören

von Dr. Bernd Niquet

Dies ist die Geschichte von einem Mann, der den Kosten unse-
res Gesundheitssystems etwas entgegen setzen wollte. Der sei-
nen kleinen, bescheidenen Beitrag leisten wollte. Der sich
nicht um die grossen Dinge kuemmern wollte (um dann letztlich
doch nichts zu bewirken), sondern der in seinem kleinen Be-
reich Verantwortung zeigen wollte (um dann wenigstens etwas
zu bewirken).

Unser Mann ist ein Privatpatient und damit gleich in dreifa-
cher Weise privilegiert, einmal, weil er eine bessere und
schnellere Behandlung bekommt, und zweitens wie drittens,
weil seine Kasse dafuer mehr Geld bezahlt und er ueberdies
die Abrechnungen der Aerzte einsehen kann. Unser Mann ver-
spuert schon seit langem Rueckenschmerzen, die nicht recht
weggehen wollen. Der Arzt schlaegt vor, es mit ein paar
Spritzen zu versuchen. Na ja, denkt unser Mann, man kann es
ja mal versuchen.

Zehn oder zwoelf Mal geht er zu diesem Arzt, wartete jeweils
eine halbe Stunde und bekommt dann in einer oder zwei Minuten
hier und da einen kleinen Pieks. Und fertig - bis zum naechs-
ten Mal. Als anschliessend eine Pause vereinbart wird, kommt
die Rechnung des Arztes. Sie belaeuft sich auf 1.600 Euro,
nach guter, alter Rechnung also etwa 250 DM pro Ein-Zwei-
Minuten-Sitzung.

So geht das doch nicht, denkt unser Mann und schreibt einen
Brief an seine Krankenkasse. Er schreibt, was der Arzt kon-
kret mit ihm gemacht hat und er bittet um Pruefung, dass so
etwas doch wohl nicht sein kann. Die Bedeutung dieses Briefes
ist also: "Kommt, lasst uns gemeinsam etwas machen, dass uns
beiden nicht das Fell ueber die Ohren gezogen wird."

Die Antwort seiner Krankenkasse erschreckt ihn. Sie besteht
in der kommentarlosen Ueberweisung des Betrages von 1.600
Euro auf sein Konto. Sie haben es also nicht einmal hoeren
wollen! "Nein!", haben Sie damit gesagt, "nein, wir wollen
nicht diskutieren oder verhandeln, wir wollen lieber zahlen!"

Wenig spaeter durfte unser Mann der entscheidenden ge-
schaeftspolitischen Vorstandssitzung seiner Privaten Kranken-
kasse beiwohnen. Hier ist sein Protokoll:

Der Vorstand-Vorsitzende: "Ich begruesse Sie zur Sitzung.
Herr Controlling-Vorstand, wie haben sich unsere Einnahmen
und Ausgaben entwickelt?"

Der Controlling-Vorstand: "Die Ausgaben sind stark gestiegen
und liegen jetzt um 20 Prozent ueber den Einnahmen plus Ge-
winnsumme."

Der Vorstand-Vorsitzende: "Gut, dann erhoehen wir unsere Ta-
rife fuer das naechste Jahr um 20 Prozent. Noch Fragen?"

Der Vertriebs-Vorstand: "Ja, und was machen wir dann im
naechsten Jahr?"

Der Vorstands-Vorsitzende: "Genau das Gleiche natuerlich. Ich
danke Ihnen, die Sitzung ist geschlossen."

Fuer das schwere und verantwortungsvolle Geschaeft der Lei-
tung einer Privaten Krankenkasse beziehen die Vorstaende
durchschnittlich bestimmt 300.000 Euro pro Jahr. In Hinsicht
auf die Gesetzlichen Krankenkassen tragen die Chefs der Kas-
senaerztlichen Vereinigungen fuer etwa das gleiche Salaer die
schwere Verantwortung. Und da wird man doch wohl wahrlich
einmal fuer 1.600 Euro (herum) spritzen duerfen, wird sich
der Arzt unseres Mannes gesagt haben.


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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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