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Alt 09-08-2006, 21:09   #528
Starlight
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Wal-Mart vermisst Deutschland nicht

Noch vor wenigen Wochen sahen Anleger an der Wall Street, die einen mit Entsetzen und die anderen mit Schadenfreude, wie Wal-Mart in Deutschland scheiterte und sich unter hohem Konkurrenzdruck mit einem Milliarden-Verlust verabschieden musste. Mittlerweile sehen einige Experten den Schritt nicht als Niederlage, sondern als Chance.

Wal-Mart habe klug entschieden, sich aus Deutschland zu verabschieden, meinen einige Einzelhandels-Analysten. Dass man sich im größten europäischen Verbrauchermarkt nicht behaupten konnte, sei nicht weiter tragisch, und auch der unfreiwillige Rückzug aus Südkorea wenige Monate zuvor könne durchaus verkraftet werden. „In Deutschland und Südkorea herrscht ein anderes Wertesystem als bei Wal-Mart“, hat Love Goel von der auf Einzelhändler spezialisierten Growth Ventures Group erkannt. „Niedrigste Preise sind dort nicht das einzig wichtige.“ Wal-Mart sei in beiden Märkten von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

Craig Johnson vom Branchenberater Customer Groth Partners sieht das ähnlich – und wiegelt ab: „Auch der größte und erfolgreichste Einzelhändler der Welt gewinnt nicht überall, wo er spielt.“ Das sei auch nicht so wichtig, solange das Unternehmen Alternativen habe. Und die gebe es. Statt in Deutschland angele Wal-Mart nun „wo die Fische beißen.“ Man könne sich nun viel konzentrierter dem Markteintritt und der Expansion in China und Indien widmen, immerhin zwei der größten Verbrauchermärkte der Welt mit einem jährlichen Volumen von 700 beziehungsweise 300 Milliarden Dollar.

In Deutschland gegen die Wand zu laufen koste den Konzern auf lange Sicht genau so viel Kraft wie der möglicherweise erfolgsversprechende Auftritt in China und Indien, sind sich die Experten einig, die mit massiven Versetzungen im Top-Management rechnen. Letztlich dürften die gleichen Manager, die bei den gescheiterten Missionen an Bord waren, anderswo mehr Erfolg haben. Denn die Struktur der Märkte in China und Indien scheint Wal-Mart entgegenzukommen.

In China sind nur 20 Prozent des Einzelhandels von Unternehmen organisiert. In Indien sind es sogar nur 3 Prozent, während die übrigen 97 Prozent der Branche von kleinen, einzelnen Läden gedeckt werden, die oft im Familienbesitz sind und nach dem Tante-Emma-Prinzip arbeiten. Gegen diese Konkurrenz kann man sich behaupten, dass hat bereits vor Jahren die radikale Expansion von Wal-Mart im ländlichen Teil der USA bewiesen, wo man mit der bewährten Niedrigpreis-Politik tausende kleiner Geschäfte einfach überrannt und ausgeschaltet hat.

Wie die indische Konjunktur einen Auftritt von Wal-Mart verkraftet, ist zur Zeit unklar. Das ist natürlich auch der Grund, warum sich die indische Regierung dem US-Bonzen gegenüber eher zögerlich verhält. Man hat Wal-Mart gerade einmal die Genehmigung erteilt, ein kleines Kontaktbüro in Bangalore zu eröffnen, von wo aus man den Markt genauer inspizieren möchte. Damit ist noch lange nicht klar, wann der Konzern seine ersten Super-Center eröffnen darf.

Kommt es aber soweit, sind Analysten von gigantischem Erfolg überzeugt. Über zehn Jahre hinweg könne Wal-Mart wohl Gewinnwachstum „im dreistelligen oder zumindest im hohen zweistelligen Bereich ausweisen“, meint Experte Goel. Für Anleger sind das gute Aussichten, und plötzlich tut der Abschied von Deutschland und Südkorea nicht mehr weh.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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