Umstrittener Konträr-Indikator
Dass der Arbeitsmarkt deutlich schwächer ist als erwartet, hat an der Wall Street eine Rallye ausgelöst. Doch die Funktion des Arbeitsmarktes als Konträr-Indikator ist Anlegern nicht ganz geheuer – immerhin ginge es der Volkswirtschaft doch besser, wenn es mehr Jobs gabe. Der Tageshandel spiegelt diese Übverlegung wieder.
Nachdem die Blue Chips im frühen Handel um 75 Punkte zugelegt hatten, besann sich der Markt, und zur Mittagsstunde verbucht der Dow-Jones-Index nur noch ein Plus von 25 Punkten. So zeigt sich, dass doch einige Anleger mit der euphorisch bejubelten Gleichung „Schwacher Arbeitsmarkt = niedrigere Zinsen“ wenig anfangen können und sich gegen eine allzu positive Auslegung grundsätzlich schlechter Daten wehren.
Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Notenbank bei ihrem Treffen in der nächsten Woche durchaus den schwachen Arbeitsmarkt zum Anlass nehmen könnte, die Zinsen nach zuletzt siebzehn Anhebungen in Folge zumindest für ein oder zwei Monate unangetastet zu lassen. Das wiederum würde die Zinsen im Immobilien- und allgemeinen Finanzbereich niedriger halten und auch dem Verbraucher die Kreditaufnahme erleichtern.
Doch kommen mit dem schwachen Arbeitsmarkt ganz andere fundamentale Probleme auf die US-Wirtschaft zu. Der Verbraucher, der zu einem größeren Teil als bisher ohne Job ist, steht mit seinen Ausgaben für Miete und Eigentum, Energie, Lebensmittel, Urlaub, Dienstleistungen, etc. hinter zwei Dritteln der Konjunktur. Fährt er seine Ausgaben zurück, dürfte das die Wirtschaft weitaus mehr belasten als eine weitere Zinsanhebung um einen Viertelpunkt.
Zumal eine solche keineswegs ausgeschlossen ist. Denn obwohl der Arbeitsmarkt schwach ist, sind inflationäre Trends weiter spürbar. Das zeigt sich auch nicht nur an anhaltend hohen Energiepreisen, sondern an sämtlichen Preisindikatoren und Verbraucherindizes der letzten Wochen. Der Inflation kann die Notenbank unter Ben Bernanke am ehesten durch eine weitere Zinsanhebung entgegentreten.
Sollte sich der Offenmarktausschuss, dessen Politik erst vor wenigen Tagen Fed-Mitglied William Poole als „völlig offen“ charakterisierte, für eine weitere Anhebung entscheiden, dürfte dies den Markt um mehrere hundert Punkte in die Tiefe drücken. Zumal auf dem Parkett kaum einer mit einem solchen Szenario rechnet. Die Fed-Futures deuten offen optimistisch auf eine Wahrscheinlichkeit von mageren 20 Prozent für eine Anhebung – eine Überraschung ist indes nicht auszuschließen.
Zu den ineffizientesten Handelstaktiken würde es daher gehören, sich in den nächsten Tagen einer Rallye anzuschließen, die auf die Hoffnung auf niedrigere Zinsen baut. Sie wäre äußerst instabil. Zahlreiche Investmentprofis wissen das und haben für die nächsten Tage ihren Abschied in die Sommerpause angekündigt. Nachdem die US-Börsen in den letzten Tagen gute zwei Drittel dessen wieder aufgeholt haben, was die Korrektur vor zwei Monmaten an Wert vernichtet hatte, sehen sie kurzfristig wenig Potenzial für weitere Kursgewinne. Für viele ist es dieser Tage attraktiver, der Sommerhitze im New Yorker Financial District zu entfliehen.
Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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