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Alt 02-08-2006, 21:16   #524
Starlight
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Wie wird Kuba nach Fidel Castro?

Kommt ein Mann zum Arzt… Nein, es waren gleich zwei Männer, die sich in dieser Woche durchchecken ließen: George W. Bush, der nach offiziellen Angaben topfit aber ein paar Pfund zu schwer ist, und Fidel Castro, der nach einer Darm-Operation auf dem Weg der Besserung sein soll. Nicht jeder hat sich das gewünscht.

Die Menschen in Kuba feiern die Genesung ihres Staatsoberhauptes. Nicht ganz freiwillig, versteht sich, vielmehr herrscht Pflicht zur Freude. In 47 Amtsjahren hat der „Maximo Lider“ sein Volk organisiert. Bis heute hat jede Straße zwischen Havanna und Guantanamo einen Blockwart, der die Nachbarn kontrolliert. Wer bei den bis zu sechsstündigen Ansprachen von Fidel Castro nicht die Fahne schwenkt, hat ein Problem. Kritische Gespräche sind verboten, Sympathie-Demonstrationen und Glückwünsche in Krisenzeiten wie der aktuellen selbstverständlich.

Ein paar Meilen weiter nördlich sieht die Sache ganz anders aus. Seit Dienstagmittag tanzen die Exil-Kubaner in Miami auf den Straßen und hoffen, dass der Diktator stirbt. Sie hoffen, dass nach Castro alles anders wird. Das ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, denn auf Fidel Castro dürfte aller Vorraussicht nach sein jüngerer Bruder Raul folgen. Der ist seit der Revolution Vize-Präsident des Kabinetts und Chef des kubanischen Militärs. Die hohen Posten bekam er nicht aus Bruderliebe, sondern verdiente sie sich. Immerhin war Raul mit seinem Bruder und „Che“ Guevara einer der Organisatoren der Revolution und einer der Vordenker der Aufständischen.

Unter Raul Castros Führung dürfte sich an den Verhältnissen auf der Insel ebenso wenig ändern wie an der Außenpolitik und entsprechend dem Embargo, mit dem die USA den Kommunistenstaat seit 1962 belegt haben. Zwar hat sich Raul in der Vergangenheit wirtschaftlichem Fortschritt gegenüber aufgeschlossener gezeigt als sein Bruder. So führte er vor gut zehn Jahren Bauernmärkte ein, auf denen Familie ihre überschüssige Ernte auf eigene Rechnung verkaufen dürfen. Doch heißt das noch lange nicht, dass unter Raul eine Abwendung vom Kommunismus zu erwarten wäre, den Fidel erst vor vier Jahren sogar noch in die Verfassung des Landes schreiben ließ.

Dennoch machen sich die Exil-Kubaner in Florida Hoffnung auf einen baldigen Wandel. Sie wittern gute Geschäfte auf der Insel, die viele von ihnen vor Jahrzehnten in tiefer Nacht per Schlauchboot verlassen haben. Die heruntergekommene Insel bietet kapitalistisch geschulten Heimkehrern ein Investmentpotenzial, das in dieser Form einzigartig sein dürfte. Es gilt nicht nur, den Tourismus auszubauen, was nach Meinung von Experten als allererstes geschehen dürfte. Vielmehr muss auch eine Infrastruktur geschaffen werden, die von Straßen über Flugplätze bis hin zu neuen Gebäuden und Kommunikationsnetzen reicht.

Auf Konzerne aus allen Branchen warten Milliardengeschäfte, vor allem auf den Finanzsektor. Die USA werden die ersten sein, die von einem Investmentboom auf der Insel profitieren wollen. Entsprechend rasch dürfte das Embargo fallen, mit dem sich Washington seit einiger Zeit ohnehin mehr selbst schadet. Während man nämlich weder US-Bürger in Havanna urlauben noch US-Unternehmen dort investieren lässt, sichern sich Konzerne aus China, Russland und Europa Partnerschaften, die in der Zukunft lukrativ sein könnten.

Während Fidel Castro im Krankenhaus ist, machen sich Wall Street und Washington also Gedanken über die Zukunft Kubas. Die scheint manchem Investor rosig zu sein, wie nicht zuletzt die Nachfrage nach karibik-orientierten Investmentfonds auf dem amerikanischen Markt zeigt. Doch sieht nicht jeder den unausweichlichen Veränderungen optimistisch entgegen. Die einmalige Kulisse Havannas, der einzigen Stadt ohne McDonald´s und Nike-Store, dürfte ebenso ihren Reiz verlieren wie die Kultur des Landes, die sich vor allem deshalb so bunt entwickeln konnte, weil sie von westlichen und kommerziellen Einflüssen weitgehend verschont blieb.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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