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Alt 21-07-2006, 21:04   #517
Starlight
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Das globale Röhrensystem

Hightech-Aktien dominieren zum Wochenende den Handel an der Wall Street. Abgesehen von Computerbauern und Softwareschreibern geht es vor allem um Internet-Werte. Das passt zeitlich ganz gut, denn auch in Washington wird zur Zeit mehr oder weniger kompetent über das Internet debattiert – zur großen Freude der Netzgemeinde.

Zwei Internet-Themen beschäftigen die Abgeordneten in Washington zur Zeit. Einerseits geht es um die mögliche Schaffung eines Zwei-Klassen-Systems im Netz und darum, zahlenden Unternehmen schnelleren Breitbandzugang zur Verbreitung ihrer Werbebotschaften zu geben.

Man kann geteilter Meinung über eine solche Maßnahme sein. So wäre es grundsätzlich nicht falsch und würde wahrscheinlich die horrenden Massen an Spam eindämmen, wenn Sender für das kommerzielle Zumüllen privater Mailboxen zahlen müssten. Allerdings hieße das auch, dass finanzstarke Konzerne ihre Werbung weiter verbreiten könnten, während für manchen kleineren Wettbewerber und für zahlreiche gemeinnützige Stiftungen und Verbände ein bisher kostenloses Werbe- und Aufklärungsinstrument wegfiele.

Der republikanische Abgeordnete Ted Stevens ist jedenfalls dafür, alle Werbe-Versender zur Kasse zu bitten. Die Meinung des 82-Jährigen aus Alaska zählt auf Capitol Hill, denn Stevens ist Vorsitzender des Ausschusses für Handel, Wissenschaft und Transport, das unter anderem das Internet reguliert. Umso schlimmer, dass Stevens das virtuelle System scheinbar nicht ganz versteht.

Das Internet sei kein Truck, erklärte Stevens jüngt, sondern vielmehr ein „Röhrensystem“. Zuviel Information verstopfe die „Röhren“, was unter anderem dazu geführt habe, dass er selbst „ein Internet“, das seine Mitarbeiter am Freitagmorgen verschickt hatten, erst nach dem Wochenende bekommen habe. Soso. Wie oft Ted Stevens in die Röhren schaut, die er regulieren soll, ist unklar. Tatsache ist hingegen, dass der Senator ebendort seit einigen Tagen ein Kultstar ist, dessen komische Ausführungen zum Thema mittlerweile als Techno-Remix vorliegen.

Einen gewissen Anteil an Stevens´ Abgleiten in die Witzwelt hat John Stewart. Der Komiker ist Moderator der „Daily Show“ und spricht seit Tagen über das Internet, zumal Washington nachlegte. Eine Gesetzesinitiative strebt den Verbot von Online-Kasinos an. Lediglich staatliche Lotterien und Pferdewetten sollen künftig erlaubt sein, Roulette und Black Jack aber nicht.

Das macht nun wirklich nur Sinn, wenn man sich das Röhrensystem noch einmal vor Augen hält: Pferde hätten bekanntlich Beine, so Stewart, und könnten einfach durch das Röhrensystem galoppieren. Kasino-Chips hingegen könnten sich verhaken und zu Blockaden führen, die den Lauf wichtiger Dinge wie Internet-Porno oder Ebay-Schnäppchen verlangsamen könnten. Schicke hingegen die staatliche Lotterie hin und wieder im Rahmen der Ziehung eine schwere Zahlenkugel durch die Röhre, könne die Verstopfung gelöst werden. Englisch sprechenden Lesern sei Stewarts Illustration auf http://www.youtube.com/watch?v=1lYiD...etting%20tubes empfohlen (etwa bei 3:00 Minuten).

Trauriger Hintergrund der lustigen Geschichte: Die Diskussionen in Washington zeigen tatsächlich, dass das Internet von einem Haufen Politiker reguliert wird, die weder technisches Grundwissen besitzen noch die eigentliche Idee eines verbesserten und vor allem kostengünstigen Informationsflusses verstehen. Der Ausgang der Debatten auf Capitol Hill ist offen, die Diskussionen dauern an.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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