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Alt 14-07-2006, 21:09   #513
Starlight
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Detroit steckt weiter im Stau

Während in Detroit die Chefs von GM und Renault/Nissan über die Zukunft des größten amerikanischen Autobauers beraten, macht sich Merrill Lynch über die Zukunft der gesamten Branche Gedanken. Bittere Erkenntnis: Für die Amerikaner geht es weiter bergab, die Asiaten werden weiter Marktanteile gewinnen.

Diese Einsicht alleine wird nun keinen Branchenkenner und auch keinen Investor aus den Socken hauen. Dass die „großen Drei“ in Detroit Probleme haben, die noch eineWeile andauern werden, ist eigentlich klar. Auch dass sich der deutsch-amerikanische Konzern DaimlerChrysler auf absehbare Zeit wohl besser halten kann als GM und Ford, war bereits klar.

Was die neue Studie von Merrill Lynch aber so interessant macht, ist ihre Genauigkeit. Analyst John Murphy hat einen Index ermittelt, in den die Zahl neuer Modelle, deren Produktionsraten, die Kapazitätsauslastung in den Werken, die durchschnittliche Standdauer im Autohaus und andere Faktoren eingerechnet sind. Es dürfte die bisher genaueste Studie über die Autobranche und die Aussichten in den nächsten Jahren sein, und die offenbart einige Unterschiede zwischen US- und asiatischen Herstellern, die zwar nicht neu sind, aber oft unterschätzt blieben.

Dass die US-Hersteller GM, Ford und Chrysler ihre Modelle beispielsweise alle acht Jahre erneuern, während Koreaner und Japaner nur fünf Jahre warten, sieht Murphy als einen entscheidenden Faktor für die künftige Entwicklung der Branche. In Detroit sieht man das genauso, und entsprechend wollen die „großen Drei“ die Rate für neue Modelle von 13 Prozent in den Jahren bis 2006 auf 18 Prozent in den Jahren 2007 bis 2009 hoch schrauben. Die Zahl der neuen Modelle steigt damit von 44 auf 61.

Damit allein verteidigen die US-Firmen ihre Marktposition allerdings nicht. Denn wenngleich die Vielzahl neuer Modelle erhöht wird, stimmt noch lange die Vielfalt nicht. Neben Pkws in den verschiedenen Klassen sowie SUV und Trucks soll es nämlich künftig Mischformen geben, denen sich die Asiaten bislang beherzter angenommen haben als die Amis. Toyota und Nissan planen Hybriden, die Pkw und Truck verbinden, Mazda bringt die Heckklappe zurück und führt damit ein längst vergessenes Design ein.

Weitere Crossover-Modelle, die sich nicht einfach in bisherige Kategorien einordnen lassen und deshalb ganz neue Käuferschichten ansprechen könnten, sind bei Hyundai und Kia in der Planung. Die Koreaner seien zur Zeit ein wenig hinterher, meint Merrill Lynch, dürften bis 2010 aber ebenfalls an US-Marktanteilen zugelegt haben.

Die interessantere Produktpalette, die DaimlerChrysler von GM und Ford unterscheidet, scheint den Deutsch-Amerikanern laut Merill Lynch einen Vorteil zu geben. So könnte das Unternehmen seine Marktanteile wohl zumindest halten, während die beiden rein amerikanisch geführten Konzerne mit Einbußen rechnen müssten. Die dürften zwar nicht mehr so steil sein wie zuletzt, bneruhigt Analyst Murphy, doch das dürfte weder Bosse noch Anleger beruhigen.

Umso interessanter wird sein, wie sich die Gespräche zwischen GM-Chef Wagoner und seinem Konterpart von Renault/Nissan entwickeln. Nach einem ersten Treffen am Freitagmorgen hat Carlos Ghosn erklärt, er sei auf keinen Fall an einem Chefposten bei GM interessiert, doch sollten Anleger diese Aussage nicht überbewerten. Es dürfte vor allem Diplomatie sein, die solche Sätze formt. Schließlich ist Rick Wagoner nicht gerade für seine ungebremste Begeisterung für die asiatische Konkurrenz bekannt. Er wird sich ungern von Außenstehenden über die künftige Strategie von GM belehren lassen wollen, und mit seinem Verzicht auf den Vorstandsposten – der ihm bisher nie angeboten worden war – hat Ghosn zumindest eine Gesprächsbasis offen gehalten.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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