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Alt 10-07-2006, 20:52   #510
Starlight
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Was macht eigentlich… Ken Lay?

Fast eine Woche ist es her, dass die Wall Street vom Tod Kenneth Lay´s erfuhr. So überraschend die Nachricht kam, so umstritten ist sie bis heute. Kein Wunder: Für den einstigen Mulltimillionär und Bush-Freund kam der Tod als willkommene Alternative zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Das regt die Verschwörungstheoretiker an.

„Bevor ihr den Sarg des Betrügers ins Grab senkt, schaut nach ob er auch drin ist“, titelte die New York Post, und im Internet wird überhaupt mehrheitlich am Schicksal des ehemaligen Enron-Chefs gezweifelt. An einen natürlichen Herzinfarkt will kaum einer glauben. Die meisten Blogger vermuten einen Suizid, und andere sehen Lay gar mit einem Cocktail in der Hand in irgendeinem karibischen Paradies – neben ihm sitzt dann vermutlich Elvis.

Doch Spaß beiseite: Ganz unmöglich wäre es für einen Mann mit Ken Lay´s Beziehungen wohl nicht, seinen Tod vorzutäuschen. In Aspen, Colorado, dürfte das sowieso leichter fallen als in der texanischen Business-Metropole Houston, wo der Stammsitz von Enron war. In Aspen ist die High Society überschaubar, die Chefärzte kennen ihre prominenten Patienten.

Unterstützung auf höchster Ebene wäre Lay zudem sicher, so dass eine rasche Ausreise aus den USA wohl kein Problem wäre. Das Weiße Haus dürfte wohl ein Interesse daran gehabt haben, den Mann loszuwerden. Noch ein weiterer Krimineller im engsten Umfeld des Präsidenten begünstigt dessen ohnehin schweren Stand beim Wählervolk sicher nicht. Mit dem Tod wiederum kam Ken Lay als Unschuldiger davon. Laut Gesetz endet ein Verfahren beim eines Angeklagten mit dessen Unschuld, so lange nicht alle Rechtsmittel erschöpft waren. Bei Ken Lay ist genau dies der Fall.

Dass also Washington ein Interesse an einem „Tod“ von Ken Lay gehabt haben könnte, bringt indes manchen Blogger auf ganz andere Gedanken: „Die CIA hat ihn umgebracht“, murmelt ein Diskussionsteilnehmer im CNN-Forum, „wahrscheinlich mit Gift.“

Das indes ist weit hergeholt. Naheliegender ist der Gedanke, den nicht nur professionelle Verschwörungstheoretiker durchspielen, sondern fast jeder vernünftige Beobachter – nicht zuletzt die dafür bereits gescholtene Internet-Enzyklopädie Wikipedia: Selbstmord. Abgesehen davon, dass sich ein Herzinfarkt recht leicht herbeiführen und mit Hilfe eines nahestehenden Arztes noch leichter vertuschen ließe, hätte Ken Lay manchen guten Grund für ein vorzeitiges Dahinscheiden gehabt.

Einerseits bleibt ihm ein trauriger Lebensabend hinter Gittern erspart. Unter zwanzig Jahren wäre Lay bei der Verkündigung des Strafmaßes im Oktober auf keinen Fall weggekommen, nach einem illustren Leben unter den oberen Zehntausend sind das bittere Aussichten. Andererseits stand Lay´s Familie vor dem Ruin. Mit seinem plötzlichen Tod gehen Werte, die im Zusammenhang mit hunderten ausstehender Zivilklagen eigentlich hätten gepfändet werden sollen, in den Nachlass über – sie gehören damit nicht mehr Lay, sondern der Familie. Was und wieviel jetzt noch gepfändet werden kann, ist zur Zeit ungeklärt.

Unklar ist auch, wieviel Ken Lay noch hatte. Am Hungertuch nagen werden die Hinterbliebenen aber wohl nicht. Selbst nach dem Zwangsverkauf mehrerer Immobilien blieben dem Enron-Gründer zuletzt die Villa in Aspen, in der er starb, sowie eine Wohnung in Houston, die auf 10 Millionen Dollar geschätzt wird und mit Möbeln für weitere 2 Millionen Dollar ausgestattet sein soll. Außerdem soll Lay Anteile an einem Goldman-Sachs-Fond gehalten haben, die bis zu 6,3 Millionen Dollar wert sein könnten.

Die wahren Hintergründe von Ken Lay´s plötzlichem Ableben werden wohl im Dunkeln bleiben. Erinnern wird man sich auf jeden Fall aber sehr lange an den Mann, der hinter dem größten Wirtschaftsbetrug in der Geschichte der USA gesteckt und Tausende Angestellte um ihre Ersparnisse gebracht hat.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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