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Alt 07-07-2006, 21:04   #509
Starlight
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Gefährlicher Lauf mit den Bullen

Ray Ducharme ist 31 Jahre alt und wird vermutlich den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Der New Yorker gehört zu den vielen Idioten, die jedes Jahr in Pamplona mit den Bullen rennen und zum Teil lebensgefährlich verletzt werden. An der Wall Street ist es nicht ganz so gefährlich mit den Bullen zu rennen – doch lauern auch hier Gefahren.

Im Grunde sind die Parallelen zwischen New York und Pamplone nicht zu übersehen. Sowohl an der Wall Street als auch in der spanischen Provinz lassen sich Leute auf ein Spiel ein, dessen Ausgang sie nur minimal beeinflussen können. Stärker als der angetrunkene Läufer in rot-weiß ist schließlich der Bulle, mächtiger als der Zocker ist der Markt in einer ganzen Masse.

Getrieben werden die Spieler von einem niedrigen Instinkt: der Jüngling in Pamplona von Übermut und dem einfachen Drang, sich zu beweisen. Man will halt Mann sein, die Mädchen beeindrucken, die indes meist distanziert bis schockiert auf das riskante Spiel reagieren. Den Investor derweil treibt die Gier, ebenso wie die Hochmut eine Todsünde – beide werden mitunter bestraft. Dann wird der Jüngling in Pamplona zertrampelt, und wer an der Börse unter die Räder kommt, wird sich nicht viel besser fühlen.

Natürlich sind es stets die Unerfahrenen, die Forschen, die beim Rannen mit den Bullen – in Pamplona und New York – den Kürzeren ziehen. Unter fünf Schwerverletzten bei der diesjährigen Stierhatz sind allein zwei Amerikaner, ein Kanadier und ein Brite. Spanier erwischt es kaum, obwohl die in der Mehrheit sind, denn die kennen sich aus mit den wilden Tieren und schätzen die Gefahr richtig ein. Vielleicht trinken sie vor dem Rennen auch weniger Sangria als die risikofreudigen Touristen.

Auch in New York muss man die Bullen gut kennen, um mitlaufen zu könenn. Wer den Markt nicht vesteht und seine Tücken übersieht, der kommt unter die Räder. Zur Zeit baut sich eine Situation auf, die für manchen Unvorsichtigen gefährlich werden könnte. Zwischen den Diskussionen um Arbeitsmarkt und Zinspolitik, zu Beginn der Ertragssaison und inmitten der Krisen in Irak, Iran und Nordkorea übersieht mancher, dass die amerikanischen Aktienmärkte auf ungewöhnlich hohem Niveau handeln. Die Kurseinbrüche von Mai und Juni mögen nicht unvergessen sein, doch sind sie zumindest halb aufgeholt, eine wirtkliche Korrektur hat man nicht gesehen.

Das wiederum ist ungewöhnlich. Historisch betrachtet sehen Dow & Co. in Aufschwungphasen einmal jährlich eine Korrektur um mindestens zehn Prozent, eine solche ist zur Zeit überfällig. Sie wird nicht ausbleiben. Die Frage ist nur, wer den Trend rechtzeitig erkennt und einen Schritt zur Seite machen kann, und wer vom Markt überrollt wird.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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