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Alt 29-06-2006, 15:19   #940
Benjamin
TBB Family
 
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Beiträge: 10.373
Hi Börsengeflüster,

Zitat:
Nur der Punkt das die Deflation erst begonnen hat und wir unten herausgefallen sind, glaube ich nicht.
Da wirst Du nicht der einzige sein hier im Board.
Ich bin nicht sicher, ob überhaupt nur ein einziger Leser dieser Aussage zustimmt!
Der Grund dafür ist offensichtlich: Alle Welt redet von Inflation, von steigenden Preisen! Da wird nach landläufiger Meinung Deflation per Definition ausgeschlossen - weil da ja die Preise fallen.

Außerdem hat man sich an den Gedanken gewöhnt, dass Aktienmärkte in der Regel wachsen. Wenn sie fallen, dann kann das nur eine vorübergehende Korrektur sein. Man muss nur warten können, dann ist das Depot wieder im plus.
Du liegst hier also genau in der Mitte der Pressemeinung, Glückwunsch!

Das ist hier nicht der Ort für Grundsatzdebatten. Daher hier nur kurz meine Erwiderung:
Bitte keine Verwechsellung zwischen Konsumentenpreisinflation einerseits und dem von Banken geforderten Zins für neue Kredite andererseits.
In der gegenwärtigen Argumentation in der Presse für Zinsanhebungen der Zentralbanken wird der Aspekt der zunehmenden Preisinflation genannt. Man müsse also "Geld" knapper machen.
Das ist ein Nebenkriegs-Schauplatz! Die Größe der physischen Geldmenge im Umlauf ist winzig im Vergleich zur geschuldeten Geldmenge über Kredite. Die Zinsen steigen nicht primär, weil den Konsumenten das Geld locker sitzt, sondern weil Kreditgeber misstrauischer werden und mehr Geld bei der Kreditvergabe (=Zins) verlangen, um sich für das erhöhte Risiko eines Kreditausfalls entsprechend bezahlen zu lassen.
Warum erhöhen wirtschaftlich schwache Regierung alle Naselang die Zinsen? Doch nicht wegen der Inflation der Preise, sondern wegen der immer höheren Anforderungen der Geldhabenden an diejenigen, die über Kredite an Geld herankommen wollen.

Das Zauberwort, dass imo in der Presse heute diskutiert werden sollte, lautet Kreditwürdigkeit der großen Schuldner in einem Land, nicht so sehr die Inflation bei Produkten und Dienstleistungen. Letztere ist ein vorübergehendes Phänomen, das abebbt, sobald sich der skeptische Grundgedanke, der zur Anhebung der Kreditzinsen führte, auch übertragen hat auf die Kauflust der Konsumenten.

Mit anderen Worten: Konsumentenpreisinflation am Beginn einer deflationären Entwicklung ist normal.
Wenn die Zinsen in einer überschuldeten Gesellschaft, die umringt ist von einer Konsumwelt, die nur durch liquiditätsgetriebene Vermögenspreisinflation so je hat entstehen können, steigen, dann nimmt schließlich auch die Ausgabefreudigkeit der Konsumenten ab, die Preisinflation sinkt.
Wenn dann (wie jetzt) der Wirtschaftszyklus bereits sehr weit gediehen/am Ende angekommen ist, dann verschwindet die Inflation bei steigenden Zinsen recht zügig, wird dann sogar negativ, die Preise fallen letztlich: Deflation!

Der Antrieb dahinter sind in der ersten Phase die Anleihen-Besitzer, die Gläubiger: Bei denen "liegt" (in Summe) viel Geld in dieser heutigen Gesellschaft, bei den Konsumenten "liegt" (in Summe) vergleichsweise wenig. Die Gläubiger/Anleger verlangen immer mehr Geld für Kredite, weil die Kreditrisiken zunehmen. Die Banken einschließlich der Fed reagieren darauf nur, indem sie den Zins ausrichten auf den Kreditmarkt, der sich nach Angebot und Nachfrage von Tausenden (Millionen?) Marktteilnehmern bestimmt und nicht nach irgendeinem Gesäusel des Leiters der Fed. Die Fed reagiert, sie paßt an, sie kommentiert. Steuern tun die Kreditgeber, die Anleger! Die Fed "facilitates" (befördert einige technische Randbedingungen), die Millionen Geldanleger bestimmen in ihrer Masse, wo es wann wohin langgeht!

Anders herum: Wäre die Inflation der Güterpreise das Problem (und nicht die abnehmende Kreditwürdigkeit der großen Schuldner), dann sähen wir heute einen anderen Goldchart und einen anderen Ölchart. Da macht mir niemand ein X für ein U vor!

Es gibt ein schönes Bild, das ganz einfach etwas über Vermögenspreisinflation aussagt - und über die Deflation, die danach irgendwann kommen muss. Das geht so:

Ein Mann will ein Haus bauen, hat aber kein Geld. Er leiht sich 1 Mio € beim reichen Nachbarn. Der leiht ihm die 1 Mio, er geht und baut sein Haus. Jeder einzelne der beide Leute würde, wenn man ihn fragen würde, von sich selbst sagen, er hätte eine Mio €:
- Der neue Hausbesitzer, indem er auf das Haus zeigt, Wert: 1 Mio. €.
- Der Nachbar, indem er auf seine Schuldverschreibung über 1 Mio € zeigt.
Fazit: Jetzt gibt es zwei Mio €, wo es vorher nur eine gab! Vermögenspreisinflation!
Das Spiel geht dann noch weiter: Der Hausbesitzer kann sein Haus noch teilweise beleihen, wenn andere Leute so ein Eigenheim klasse finden und evtl. sogar mehr als 1 Mio € dafür zahlen würden. Vermögenspreisinflation. In dieser Weise können wundersame Welten entstehen, solange alle Leute begeisterte, optimistische Shopper sind und an ewiges Wachstum glauben.

Das ganze kollabiert erst dann, wenn hinreichend viel das nicht mehr glauben und skeptisch werden, ihr Geld zurück verlangen, neues Geld nur gegen große Sicherheit/hohe Zinsen zahlen, lieber Geld halten als ausgeben. Deflation!

Das Spiel ist u. U. erst dann aus, wenn am Ende da wieder nur die eine Mio an Wert da ist, mit der das Ganze begonnen wurde - oder wenn hinreichend viele Leute meinen, es sei nun genug, sie würden sich wieder ein Herz fassen und Kaufen und Geld ausgeben. Vorher nicht. So endet Deflation.

Das war oben quasi mittel- bis längerfristiger Hintergrund!

Zum kurzfristigen Geschehen: Ob im Mai tatsächlich DAS langfristige Top bei den Aktien war, das halte ich wegen meiner Elliott-Analyse für sehr wahrscheinlich. Bewiesen ist es noch nicht.
Nach dem Aktien-Top in 2000 gab es - nach der ersten langen Abwärtswelle - eine beachtliche Korrektur, die aber das alte Hoch nie erreichte. So etwas sollte / könnte auch jetzt bald kommen und Wochen und wenige Monate dauern, in einem zähen Gezappel. Das wäre eine lange Prüfung für gerade geborene Perma-Bären wie mich...

Geändert von Benjamin (29-06-2006 um 16:23 Uhr)
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