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Alt 23-06-2006, 20:52   #503
Starlight
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Gourmets streiten um „Lobstergate“

Keiner weiß, wo der Markt zur Zeit hin will, die US-Börsen finden keine Richtung. Einzig positiver Aspekt: Langweilig wird es nicht. Was Anleger am wenigsten mögen, ist die Börse im Krebsgang – andere Krustentiere kommen besser an. Hummer zum Beispiel, beim Dinner nach einem gelungenen Deal.

So interessiert sich die Wall Street sehr für die kleine Meldung einer Supermarktkette, die den Kurs der Aktie nicht sehr bewegt, aber die Gemüter. Whole Foods Markets, unter Börsianern bekannt als einer der stärksten Performer im Einzelhandel, will künftig keine lebendigen Hummer mehr verkaufen, da diese in den Aquarien im Verkaufsraum nie artgerecht gehalten würden und zudem vor einem grausigen Tod im Kochtopf des Kunden stehen würden.

Für Whole Foods war die Entscheidung nicht leicht, künftig auf den frischsten aller Leckerbissen zu verzichten – allein, man bleibt damit dem Konzept treu, das die Kette so erfolgreich gemacht hat. Whole Foods ist nicht nur Supermarkt, sondern vor allem Marktführer im Bio-Bereich. Man vertreibt ökologisch korrekte Kost, hat vor Jahren bereits den Verkauf von Foie Gras eingestellt und Hühnereier gibt es ausschließlich aus Freilandhaltung. Auf der Website finden sich Tips zum Einstieg in einen vegangen Lebensstil.

Dass Whole Foods bisher lebende Hummer im Angebot hatte, hängt mit der langjährigen Unsicherheit über das Schmerzemfpinden der Krustentiere zusammen, die in diesen Tagen anhält. Hummer-Liebhaber, denen nichts über einen lebendig gekochten Leckerbissen geht, bestreiten vehement, dass der Hummer mit seinem rudimentären Nervensystem Schmerzen empfindet, die Tierschützer von PETA sehen das anders. Sie stützen sich auf aktuelle Studien aus Schottland und Norwegen, die schließlich auch das Management von Whole Foods überzeugt haben. Obwohl diesen eigentlich an einem gegenteiligen Befund gelegen hätte.

Dass Whole Foods nun auf den Verkauf von Hummern verzichtet, bringt der Kette nicht nur Lob ein. Und e sind nicht nur egoistische Gourmets, die sich beschweren, nein, das Thema ist ein Politikum geworden. „Ich finde diese Entscheidung idiotisch“, meint Hannah Pingree, die demokratische Abgeordnete aus North Haven im Bundesstaat Maine. In ihrem Wahlkreis leben hunderte von Hummerfischern, und die Politikern sorgt sich um die Branche.

Wirtschaftlich ist die Sorge berechtigt: Aus Maine kommen 85 Prozent der amerikanischen Lobster-Ernte, und das sind immerhin bis zu 350 Tonnen pro Jahr. Am Verkauf von Hummern hängen damit viele Arbeitsplätze, und entsprechend verstört reagieren auch andere Experten in den betroffenen Gegenden. Man bemühe sich so sehr um artgerechten Fang, betont Patrice McCarron von der Hummerfischer-Vereinigung. „Wir schützen Jungtiere und Weibchen, und jetzt kommt plötzlich der Supermarkt und will unser Produkt nicht mehr.“

Nun, ganz so schlimm ist es nicht. Whole Foods wird weiterhin Hummer im Angebot haben, nur nicht mehr den lebendigen mit Gummibändern um die Zangen. Im Tiefkühlregal wird man das leckerste Produkt aus Maine weiterhin finden, und nach neuesten Studien des Hummer-Werbeverbandes dürften sich die Umsatzeinbußen damit in Grenzen halten. Die meisten Amerikaner essen ihren Hummer nämlich ohnehin geschnitten und gemeinsam mit Nudeln oder anderen Gerichten – der Verzehr von frisch gekochtem Hummer am Stück macht nur einen kleinen Teil des Umsatzes aus.

Und dieser wiederum bricht ja nicht weg. Wer hat denn je seinen Hummer zuhause selbst ins kochende Wasser geworfen? Die meisten Gourmets genießen den Leckerbissen doch im Restaurant, und deren Einkäufer werden auch weiterhin die Lebendware auftreiben und zubereiten können – nur eben nicht bei Whole Foods, sondern auf dem Fischmarkt.

Damit dürfte die Entscheidung, keine Lebend-Hummer mehr zu verkaufen, die Branche nicht allzu sehr belasten. Doch auch bei Whole Foods dürften sich die Einbußen in Grenzen halten. Das konsequente Festhalten an ökologischen und tierschützerischen Aspekten dürfte die Ausnahmestellung des Unternehmens in der Branche unterstreichen und für einen weiteren Kundenschub führen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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