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Alt 13-06-2006, 18:11   #495
Starlight
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König Fußball als Konjunkturbremse

Die Wall Street sorgt sich um schwächeres Wirtschaftswachstum und hat doch einen wichtigen Faktor noch nicht einmal eingerechnet: die Fußball-WM. Die belastet die US-Konjunktur immer mehr, denn hunderttausende Fans verfolgen das Geschehen in Deutschland während der Arbeitszeit – live per Internet, Radio oder Fernsehen.

Nun ist es keine Schande, dass Volkswirte in ihren bisherigen Schätzungen König Fußball außer acht gelassen haben. Immerhin hat der Kampf um das runde Leder bisher in amerikanischen Sportbars kaum eine Bedeutung gehabt, und im Büro schon gar nicht. Football und Baseball waren gefragt, und diese Spiele laufen stets nach Feierabend.

Mittlerweile jedoch scheint die erste Generation amerikanischer Soccer-Kids fest im Berufsleben zu stehen. Dass amerikanische Konzerne immer rascher global wachsen und ausländische – fußballbegeisterte – Mitarbeiter haben, facht die Problematik an. Bei den ersten acht Spielen des laufenden Turniers haben jeweils 2,6 Millionen Amerikaner zugesehen und damit dreimal so viele wie bei den ersten acht Spielen der WM2002.

Unternehmen gehen höchst unterschiedlich mit der neuen Fußball-Begeisterung um. Da gibt es zum einen die sieben US-Unternehmen, die das globale Vermarktungspotenzial der Weltmeisterschaft erkennt haben und ganz offen als Fifa-Partner auftreten. Dann gibt es andere, nach unrepräsentativen Umfragen die meisten zumindest im New Yorker Finanzviertel, die ihren Mitarbeitern zumindest genug Raum geben, ihre Leidenschaft ausuleben. Auf dem Trading Floor der Deutschen Bank und bei J.P. Morgan läuft auf etwa der Hälfte der Bildschirme Fußball, die andere Hälfte bringt weiterhin Finanznachrichten.

Goldman Sachs und McDonald´s haben die Pausenräume für Mitarbeiter teilweise mit neuen Großbildschirmen ausgerüstet. „Dank der Fernseher in den Pausenräumen kommen meine Leute gar nicht auf die Idee krank zu feiern und zu Hause zu schauen“, meint Paul Cottrell, Franchise-Nehmer von McDonald´s in New Jersey.

Nicht alle Arbeitsnehmer haben es freilich so gut: Juan Luna, Broker an der Wall Street, stiehlt sich zur Zeit mehrmals täglich davon und macht „Kippenpause. Dabei rauche ich gar nicht.“ Luna stillt seinen Fußball-Durst in einem Restaurant im Erdgeschoss seines Bürogebäudes. Dylan Wilbanks, Webmaster bei einem großen Unternehmen, hat einen Besuch von seinen Eltern vorgeschoben, um für die Partie USA-Tschechien einen Tag frei zu bekommen.

Auf solche Maßnahmen müssen auch Arbeitnehmer bei gut 15 Prozent aller US-Unternehmen zurückgreifen, die während der WM sämtliche fußballorientierten Webseiten per Spezial-Software gesperrt haben.

Solche drastischen Regeln sorgen zwar nicht gerade für Top-Stimmung am Arbeitsplatz, sind aber durchaus nicht unberechtigt. Eine Studie aus Großbritannien hat ergeben, dass die Begeiterung britischer Arbeitsnehmer für die Fußball-WM die Unternehmen auf der Insel etwa 7,5 Milliarden Dollar kosten dürfte. Vergleichszahlen für die USA gibt es nicht, doch dürfte die schiere Größe der Konjunktur die im Vergleich zu den Briten etwas geringere Fußballbegeisterung klar wett machen.

Schuld an den Milliarden-Einbußen in Produktivität und Ausstoß sind übrigens nicht allein die TV-Übertragungen, sondern vor allem auch die Internet-Provider – allen voran Yahoo. Als offizieller Partner der WM2006 präsentiert das Portal nach jedem Spiel mehrere zweiminütige Highlights, die in Rekorszahlen heruntergeladen werden. Ein Tabellenservice von Google, wo Ergebnisse in Echtzeit verarbeitet und in den Spielplan eingerechnet werden, lenkt Arbeitnehmer zusätzlich ab.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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