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Alt 08-06-2006, 20:42   #493
Starlight
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Warum die Wall Street Fußball schaut

„Soccer – the original Football“ steht spöttisch auf dem T-Shirt, das ich mir exra für die Fußball-Weltmeisterschaft gekauft habe. Man belehrt ja gerne die nur mäßig begeisterten Amerikaner. Doch auch bei denen wird der Kampf um´s runde Leder immer populärer, und das anstehende Turnier in Deutschland beschäftigt sogar die Wall Street.

Schließlich geht es bei der WM nicht nur um 11 Freunde und einen Pokal, um Doppelpass und Blutgrätsche, sondern vor allem um Geld. Dieser Aspekt ist an der Wall Street umso wichtiger als fast die Hälfte der offiziellen Fifa-Sponsoren amerikanische Konzerne und allesamt börsennotiert sind. Unter den fünfzehn größten Geldgebern finden sich Anheuser-Busch, Mastercard, McDonald´s, Coca-Cola, Avaya, Yahoo und Gillette.

Die Unternehmen setzen Millionen auf das Fußball-Event des Jahres, und dafür wollen sie Ergebnisse sehen – im eigenen Land und weltweit. Die gute Nachricht dabei: US-weit ist es in diesem Jahr zumindest etwas einfacher, ein Fußball-Publikum zu finden als bei früheren Turnieren. Zum einen sind die deutschen Spielzeiten günstiger als vor vier Jahren, als Spiele aus Japan und Korea in den USA mitten in der Nacht liefen. Zum anderen steht das US-Team (aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen) auf Platz 5 der Fußball-Weltrangliste und rechnet sich nach der Viertelfinal-Teilnahme 2002 durchaus Chancen auf ein respektables Ergebnis aus.

Mit den Erfolgsaussichten steigen die Zuschauerzahlen der übertragenden Sender, und damit rentiert sich das Engagement der Sponsoren umso mehr. Dafür wird es ausgerechnet im TV-Bereich immer komplizierter, mit einfachen Spots breiten Zuspruch zu finden – immerhin wird das Turnier in 189 Länder übertragen und erreicht damit Zuschauer aus höchst unterschiedlichen Kulturkreisen.

Die Werbe-Branche spricht von der größten Herausforderung überhaupt, die WM stelle sogar den Super Bowl in den Schatten. Doch haben die Agenturen ein altbewährtes Konzept gefunden: Multi-Kulti. Mastercard zeigt jubelnde Fans aus aller Herren Länder, verzichtet weitgehend auf Text und beschränkt sich allein auf den Sogan „Football Fever: Priceless“.

Der Rasierklingen-Hersteller Gillette aus der Procter&Gamble-Gruppe bedient sich digitaler Mittel und zieht den Herren im Fernsehspot je nach Zielgruppe T-Shirts in den jeweilegen Nationalfarben an. Anheuser-Busch verzichtet ganz auf Referenzen zum Publikum und wiederbelebt einen Spot, in dem Zuschauer im Stadion Schilder in die Luft halten, so dass das Bild einer Bier einschenkenden Flasche entsteht. Das ist einfaches Symbol und unmissverständlich.

Anheuser-Busch indes hat auch ganz andere Probleme als die Fernsehwerbung. Der Protest deutscher Fußballfans, die in ihren WM-Stadien die US-Plörre nicht trinken wollten, hat die Brauerei zu einer ungeahnten Kooperation mit Bitburger geführt. Das deutsche Bier fließt nun in Stadien neben dem Gebräu des Sponsors, dafür gestattet Bit den Amerikanern die Verwendung des Markenkürzels „Bud“ – ein Gericht hatte dies ursprünglich verhindert und dem US-Konzern den Namen wegen der Nähe zu „Bit“ untersagt.

Für Anheuser-Busch ist es zwar auf den ersten Blick eine Niederlage, wenn man in Stadien mit Bitburger konkurrieren muss. Andererseits hat das Unternehmen den wählerischen deutschen Konsumenten mittlerweile abgeschrieben und konzentriert seine Werbemaßnahmen auf den Fernsehzuschauer weltweit. Und für den ist „Bud“ eben griffiger als das ursprünglich verwendete „Anheuser-Busch Bud“.

Doch die Beschäftigung der US-Wirtschaft und der Börse beschränkt sich nicht auf die Werbung, die amerikanische Konzerne machen. Denn auch für zahlreiche Unternehmen außerhalb des Werbe- und Sponsorenkreises ist der Kampf um den Cup ein Riesengeschäft. Für Wal-Mart zum Beispiel, wo Fußball in tausenden Filialen in den Vordergrund gerückt wurde, oder für Verizon Wireless, wo Kunden spezielle WM-Pakete mit Textbotschaften und Videos per Handy abonnieren können.

Der Dow-notierte Medienriese Walt Disney steht zudem im Mittelpunkt des Interesses. Dessen Fernsehsender ABC und ESPN übertragen das Fußballspektakel. Der Internetriese Yahoo begleitet die Geschehnisse online und zählt schon vor Anpfiff 5,7 Millionen Besucher auf dem eigens eingerichteten Portal.

Und dann wäre da noch ein Randaspekt, der Anleger interessieren dürfte: Eine Studie von Marktforschern am Massachussetts Institute of Technology, in Dartmouth und Norwegen hat ergeben, dass am Tag nach der Niederlage eines Nationalteams die Börse im jeweiligen Land einzuknicken droht. Besonders bitter: Ein gewonnenes Spiel wirkt sich statistisch betrachtet nicht positiv auf die Kurse aus, Siege werden wohl erwartet.

Dass ernsthafte Investoren jedoch ihre Anlagestrategien so genau auf den Verlauf der WM einstellen werden, ist zu bezweifeln. Wer so fanatisch ist, wäre wohl bei den Wettbüros besser aufgehoben. Die rechnen mit Milliarden-Umsätzen. Selbst in den USA soll die WM 2006 bei den Spielmachern besser laufen als die Basketball-Meisterschaft und der Super Bowl.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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