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Alt 04-06-2006, 16:55   #134
621Paul
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Irrtümer der Anlegerpsychologie
09:58 03.06.06




Die Anleger sind dumm und frech, hat der alte Berliner Bankier Carl Fürstenberg vor weit über hundert Jahren gesagt, dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann auch noch eine Dividende haben wollen.



Heute hat sich diese Wahrheit deutlich verändert. Heute fällt der zweite Punkt weitgehend weg, weil kaum mehr jemand eine Dividende verlangt, dafür beobachten wir gewaltige Multiplikationsprozesse in Hinsicht auf den ersten Punkt. Zu Fürstenbergs Zeiten besaß man noch die Demut, einen Markt als einen Markt zu betrachten, als ein unüberschaubares Ganzes, dass sich der vollständigen Beschreibung und damit auch jeder detaillierten Prognose naturgemäß entzieht. Heute hingegen sind überall unerfüllbare Erwartungen eingezogen, selbst dort, wo man es kaum vermutet.



Kaum ein Anleger wird sich der Behauptung entziehen, dass ein Grossteil der Börsenentwicklung Psychologie ist. Doch das ist natürlich völlig falsch und zeigt nur wieder einmal, wie oft doch die Menschen ungeprüft Dinge nachplappern und wie wenig selbst nachgedacht wird. Denn die Psychologie ist die Wissenschaft von der menschlichen Psyche, die wiederum als die Gesamtheit der bewussten und unbewussten seelischen Vorgänge und geistigen Funktionen des Menschen definiert ist. Die Börsenentwicklung kann also in großen Teilen durch die Psyche bestimmt werden, kann aber niemals Psychologie sein, weil das eine Berechenbarkeit unterstellt, die jedoch mit dem Marktverhalten unvereinbar ist.



Zu meiner großen Verblüffung gibt es jedoch tatsächlich Menschen, die an eine derartige Berechenbarkeit glauben. In der neuen Ausgabe des „Smart Investor“ schreibt beispielsweise Diplom-Psychologin und Master Certified Coach Monika Müller: „Heute steht fest: Ja, es ist möglich, den Markt mit Hilfe der Psychologie besser zu erfassen.“ Abschließend werden ein paar Idealtypen, die schon seit dem Untergang der Historischen Schule zu Fürstenbergs Zeiten, Gott hab´ sie selig, das Zeitliche gesegnet haben, konstruiert, Monika Müller spricht von Ankereffekt, Framing, Primacy- und Regency-Effekt, Endowment-Effekt, Dispositionseffekt und Prospect-Theorie, und das wird dann „Psychologie“ genannt und geschrieben „Finanzpolitische Erkenntnisse geben dem Anleger wertvolle Hinweise für erfolgreichere Entscheidungen“ und „Freuen Sie sich auf unsere Tipps und Tricks in den nächsten Ausgaben“ und ich denke dann nur „Prost Mahlzeit“ und kann kaum noch an mich halten und denke kopfschüttelnd daran, wie man tatsächlich in Wirklichkeit so einfach denken kann, dass alles so einfach wäre und warum niemand auf die Idee kommt, dass das doch nicht so einfach sein kann und warum trotzdem so viele Leute einfach ihr Geld für so viel Einfachheit hergeben, doch dann habe ich es glücklicherweise auch alles schnell wieder beiseite gelegt und vergessen, weil es doch einfach viel zu dümmlich ist, um sich darüber noch weitergehende Gedanken zu machen.



Mit den besten Grüßen

Bernd Niquet



berndniquet@t-online.de
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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