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Alt 01-06-2006, 20:42   #489
Starlight
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Die Sorgen meines Tankwarts

Mein indischer Tankwart versucht ein Lächeln, als ich neben einer Tankfüllung für 30 Dollar noch einen Kaffee und einen Schokoriegel bezahle – es gelingt ihm nur mühsam. Er hat auch nicht viel zu lachen. Seine Zunft ist seit Monaten als Abzocker-Bande verschrieen, jedoch zu Unrecht: Mit den steigenden Benzinpreisen kommen ausgerechnet die Tankstellen immer mehr unter Druck.

Viele Autofahrer glauben das nicht. Wer zur Zeit pro Gallone einen guten Dollar mehr zahlt als vor einem Jahr, dessen Unmut entlädt sich zuerst an der Kasse. Da ist es noch des Tankwarts Glück, dass die meisten amerikanischen Fahrer per Kreditkarte direkt an der Zapfsäule zahlen. Wer aber doch in den kleinen Laden läuft und Cash auf den Tresen legt, der sagt gerne dem armen Mann die Meinung – meiner leidet darunter.

„Ich weiß, dass es teuer ist“, klagt er mir. „Aber ich kann es nicht ändern.“ Und genau das sehen viele seiner Kunden nicht ein. Die wissen zwar, dass Öl und Benzin allgemein im Preis gestiegen sind und die Preise von Konzernen wie ExxonMobil und Chevron gemacht werden. Doch unterstellen sie dem Tankwart hohe Margen und hoffen auf dessen Einlenken. Zu Unrecht, denn für den Tankstellen-Betreiber bringen höhere Benzinpreise nicht mehr Geld. Im Gegenteil: Sein Gewinn fällt.

Das liegt vor allem daran, dass bei hohen Preisen immer weniger Fahrer bereit sind, ihrem Auto Qualitätssprit zu füttern. Wer seinem Wagen seit Jahren statt der normalen 87 Oktan gerne 93 Oktan gab und sich davon eine bessere Laufleistung versprach, der schraubt dieser Tage auf den weniger edlen Saft zurück, der geringere Gewinmargen hat. Und noch mehr Kunden verlassen ihre angestammten Tankstellen ganz und fahren Umwege zu No-Name-Lieferanten, nur weil diese drei Cent billiger sind.

Dazu kommt: Je weniger Kunden meinem Tankwart bleiben, und je mehr diese Kunden für ihren Sprit ausgeben, desto weniger sind sie bereit, im Laden noch einen Snack dazuzukaufen. So leidet ein weiteres Marktsegment, mit dem die Betreiber bisher gutes Geld gemacht haben. Meinen Tankwart trifft diese Problematik doppelt hart. Schon vor einem halben Jahr hat er seinen Laden reorganisiert, gute fünfzig Quadratmeter freigemacht und den Sandwich-Verkäufer Subway wuchtige Öfen aufbauen lassen. Die Bäcker sind danach nie erschienen, die Theke verstaubt und die Mieteinnahmen bleiben aus, weil auch das Management von Subway weiß, dass die hohen Spritkosten manchem Kunden den Apettit verderben und die Umsätze in Tankstellen-Filialen zur Zeit niedriger sind als noch vor ein oder zwei Jahren, als mancher Geldbeutel noch lockerer saß.

So ist es kein Wunder, dass meinem Tankwart ein Lächeln nicht gelingen will. Ich habe Verständnis, schließlich eint uns ein Gedanke. Anders als die meisten Kunden weiß ich ja, dass auch er sich wie ich nichts sehnlicher wünscht als günstigere Spritpreise.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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