Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 30-05-2006, 19:55   #487
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
Was macht Hank in Washington?

Veränderungen in Washington kündigen sich meist dadurch an, dass entsprechende Gerüchte heftig dementiert werden. Seit Wochen spekulierten Insider in Regierungs- und Wall-Street-Kreisen über einen Wechsel im Finanzministerium. Ein solcher stehe außer Frage, betonte Bush immer wieder, John Snow zu ersetzen sei nicht vorgesehen.

An diesem Dienstag, wenige Tage nach dem letzten Dementi, ist es nun offiziell: Hank Paulson, bisher CEO beim Brokerhaus Goldman Sachs, soll – wenn er vom Senat bestätigt wird – John Snow ablösen, der sich auf „mehr Zeit mit meiner Familie“ freut. Paulson hatte bereits seit Wochen als möglicher Kandidat für den Posten gegolten, hatte jede Absicht zu einem Wechsel aber seinerseits dementiert. In dieser Beziehung also passt der Mann in das Bush-Kabinett.

In jeder anderen Beziehung fragen sich Insider: Was treibt Paulson nach Washington? Immerhin gilt der Goldman-Sachs-Chef zur Zeit als wohl mächtigster Mann an der Wall Street, er leitet den unumstrittenen Branchenriesen, der an sämtlichen wichtigen Mergern und Börsenstarts ebenso beteiligt ist wie im Investmentbanking und in der Vermögensverwaltung.

Vom besten Brokerhaus Amerikas stürzt Paulson nun ab und wird Teil der schlechtesten und schlechtest benoteten Regierung in der Geschichte Amerikas. Und das auch noch zu einer Zeit, in der das Finanzministerium nur noch einen Bruchteil der Kompetenz hat, die einen Mann wie Paulson einst hätte reizen können.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass das Finanzministerium jemals so wenig die Politik mitbestimmen konnte wie heute“, klagt Peter J. Wallison, ehemaliger Finanzberater der Reagan-Regierung und Mitglied im American Enterprise Institute, einem konservativen Think Tank in der amerikanischen Hauptstadt.

Diesem Think Tank gehört auch Paulson an, ebenso der frühere Handelsminister Donald Evans. Letzterer hatte noch bis Montag als aussichtsreichster Kandidat für den Posten gegolten, zumal er am Wochenende bei mehreren Terminen an der Seite von Präsident Bush gesichtet worden war. Die internationalen Märkte nahmen diese Nebensächlichkeit durchaus ernst: Der Dollar fiel am Montagmorgen von einem Drei-Wochen-Hoch auf ein Zwei-Wochen-Tief, da Evans als Freund eines schwachen Dollar bekannt ist, ebenso übrigens wie der jetzige Handelsminister Carlos Gutierrez und Bushs Botschafter in Indien, David Mulford, die ebenfalls beide für den Top-Job im Gespräch waren.

Für all diese Karrierepolitiker hätte der Schritt ins Finanzministerium durchaus Sinn gemacht. Für Paulson sieht es ganz anders aus. Aus seiner Spitzenposition in eine Regierung zu wechseln, deren umstrittene Politik er mittragen müssen und nicht wirklich beeinflussen können wird, dürfte ihm kaum Ruhm verschaffen. Geld gibt es im Finanzministerium auch weniger als im Chefbüro von Goldman Sachs. Und so sehr sich Paulson in einer Konferenz am Morgen im Weißen Haus „geehrt“ fühlt, mit George W. Bush arbeiten zu dürfen, gibt es durchaus Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden. So ist Paulson aktives Mitglied mehrerer Umweltverbände, deren Noten für die Arbeit der Bush-Regierung katastrophal ausfallen.

Für Gesprächsstoff bei Kabinettssitzungen dürfte also gesorgt sein. Das ist umso interessanter als weder Bush noch Paulson dafür bekannt sind, bei Meinungsverschiedenheiten gleich einzuknicken. Doch lassen sich Diskussionen über Industrie und Umweltschutz vielleicht noch vermeiden. Die hohen Ausgaben der Regierung und das Rekord-Defizit hingegen werden täglich besprochen werden. Und da weiß Bush schon heute, wie er am Morgen lobte: „Hank weiß, dass die Regierung Steuergelder weise ausgeben muss – oder gar nicht.“

Sicher, Hank weiß das – in Washington steht er mit dieser Meinung aber alleine da.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten