Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 28-05-2006, 09:24   #132
621Paul
TBB Family
 
Benutzerbild von 621Paul
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bayern
Beiträge: 10.026
Wie entsteht eigentlich Vermoegen?

von Dr. Bernd Niquet

In den vergangenen zwei Wochen hat es an den Maerkten heftig
eingeschlagen. Interessant daran ist, dass damit genau spie-
gelverkehrt die Ereignisse des Vorjahrs konterkariert wurden:
2005 ist alles gestiegen, Aktien, Bonds, Renten und Devisen.
Es war egal, was man gekauft hatte, es ist alles gestiegen.
Im jetzigen Mini-Crash ist hingegen alles gefallen: Aktien,
Bonds, Renten und Devisen. Es war egal, was man gekauft hat-
te, es ist alles gefallen.

Viele Leute mag erstaunt haben, dass es die Rohstoffe und
insbesondere die Edelmetalle dabei am meisten erwischt hat.
Hatte man nicht gerade Gold und Silber als Versicherung gegen
den Crash angeschafft? Und nun musste man erleben, dass gera-
de diese Versicherungen im Mini-Crash am staerksten unter die
Raeder kamen. Ich denke, wir muessen das alle als eine Lek-
tion betrachten: Sollte es wirklich einmal hart auf hart kom-
men, also ein wirklicher Crash oder Schlimmeres anstehen, wie
ja viele Leute heute so vehement befuerchten, dass sie dieses
Ereignis schon beinahe herbei sehnen, dann gibt es nur eine
Vermoegensanlage, die nicht an Wert verliert - und das ist
das Geld! Bargeld! Cash!

Was anschliessend, nach dem Crash dann passiert, steht in den
Sternen. Doch wer sich fuer den Ausbruch des Schlimmsten
wappnen will, fuer den gibt es nur eines: Genug Bargeld hal-
ten! "Nach dem Gelde draengt, am Gelde haengt doch alles",
muss man folglich auch Goethe heute korrekt in die Gegenwart
uebersetzen.

In den vergangenen zwei Wochen ist viel Vermoegen vernichtet
worden. Doch was ist das eigentlich fuer Vermoegen? Wie ist
es entstanden? Oder noch allgemeiner: Wie entsteht eigentlich
Vermoegen?

Im Grunde genommen gibt es zwei verschiedene Wege der Entste-
hung von Vermoegen: Einerseits, indem in einer Gesellschaft
mehr erwirtschaftet wird als anschliessend verbraucht wird.
Es wird eine bestimmte Menge an Guetern (und Dienstleistun-
gen) hergestellt und ein identisch hohes Einkommen erwirt-
schaft, doch es werden nicht alle Einkommen in dieser Periode
fuer den Konsum verausgabt, sondern gespart und investiert.
Dies ist der muehsamere der beiden Wege, da jedem Vermoegens-
zuwachs ein Verzicht an Konsum entspricht. Man rackert sich
ab, kann jedoch die Fruechte der Arbeit nicht verspeisen,
also nicht direkt geniessen, weil man diese Fruechte trocknet
und fuer die Zukunft aufbewahrt. Natuerlich gibt es auch ge-
nussvolle Ersparnisse und Investitionen, wenn man sich bei-
spielsweise ein Haus baut. Doch konsumieren kann man diesen
Betrag dann nicht.

Der zweite Weg der Vermoegensentstehung ist derjenige der
Bewertungsaenderungen. Fuer diese Vermoegensaenderungen muss
nur bedingt gearbeitet werden (Mehrleistungen in Aktienge-
sellschaften zur Gewinnsteigerung, die anschliessend die Ak-
tienkurs erhoehen) und kein Verzicht bei der Verwendung von
Einkommen zu Konsumzwecken geleistet werden. Doch es muss ein
anderer Verzicht geleistet werden, was aus den Vermoegens-
aenderungen ein wahrlich teuflisches Spiel macht. Denn jedes
Investment in Aktien, Bonds, Rohstoffe oder Devisen ist nur
moeglich, wenn man gleichzeitig auf die Liquiditaet des Ver-
moegens verzichtet. Realisierungen von Vermoegenszuwaechsen
sind daher fuer die einen nur dann moeglich, wenn die anderen
gleichzeitig auf ihre Liquiditaet verzichten.

Die Boersen und Finanzmaerkte sind nichts anderes ein Ringel-
spiel. Wie gewonnen, so zerrinnen die Vermoegenszuwaechse
hier immer wieder. Man sollte also nicht zu viel Vermoegen,
das durch Konsumverzicht entstanden ist, den Spielereien der-
jenigen aussetzen, die auf nichts weiter als temporaere Li-
quiditaet verzichten.


++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
621Paul ist offline   Mit Zitat antworten