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Alt 15-05-2006, 21:02   #479
Starlight
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Showdown in Houston
Die Börsen-Nachrichten werden in dieser Woche von einem Unternehmen dominiert, das an der Börse längst keine Rolle mehr spielt: In Houston/Texas geht der Enron-Prozess in die entscheidende Phase. Experten rechnen mit langen Haftstrafen für die Bosse, vor allem für Ken Lay, der zur Zeit gleich an zwei Fronten kämpft.

Neben dem seit Wochen laufenden Verfahren gegen Enron-Gründer und seinen langjährigen CEO Jeff Skilling muss sich Ken Lay in einem zweiten Prozess verantworten, der am Donnerstag beginnt – einen Tag, nachdem die Jury ihre Beratungen im ersten Prozess aufgenommen haben wird.

Was zu einem Desaster für Lay werden könnte, gilt unter Beobachtern als brillante Strategie der Staatsanwaltschaft. Selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass die Geschworenen Lay aufgrund dessen stets freundlicher Persönlichkeit und seiner ständigen Beteuerungen von allen Schiebereien bei Enron nichts gewusst zu haben, nicht verurteilen würden, drohen dem Texaner vier Mal dreißig Jahre Haft für Kreditbetrug, der mit seinen persönlichen Finanzen und nicht mit dem Untergang des Energiehändlers zusammenhängt.

In diesem weiteren Prozess entscheidet ein Richter allein – ohne Jury. Und: Es ist der selbe Richter, Sim Lake, der auch dem ersten Prozess vorsitzt. Von Lay´s Ausfällen im ersten wird er im zweiten nicht unberührt bleiben, abgesehen davon, dass es für Lay hier noch schwieriger werden dürfte, sich unschuldig zu geben. Denn es geht recht einfach um die Erschleichung von Krediten. So soll Lay der Bank of America versichert haben, mit einem 75-Millionen-Betrag nicht auf Margen zu spekulieren – um dann genau das zu tun.

Eine wenig bekannte „Regulation U“ aus einem Börsengesetz aus Zeiten der Depression untersagt hohe Kredite für Margen-Spekulanten, um Risiko von den Banken zu nehmen. Lay jedoch muss die Bestimmung gekannt haben, sonst hätte er nicht derart gezielt dagegen verstoßen können.

Richter Lake dürfte sein Urteil in dem Betrugsprozess zur gleichen Zeit fällen wie die Geschworenen im ersten Prozess, deren Bedenkzeit zwischen ein und zwei Wochen geschätzt wird. Amerikas Rechtsexperten rechnen fest mit einer Verurteilung, zumal Richter Lake der Jury vor dem Wochenende noch einmal erklärt hat, dass „bewusste Ignoranz“ gegenüber der Probleme im Unternehmen keine Verteidigung sei.

Doch dürften die Geschworenen ohnehin kein positives Bild von den Angeklagten gewonnen haben und derlei verschärfte Hinweise wohl gar nicht mehr brauchen. „Lay und Skilling sind beide in großen Schwierigkeiten“, meint der Wall-Street-Anwalt und Enron-Beobachter Jacob Zamansky. Lay, von seinem Freund George W. Bush einst liebevoll und medienwirksam „Keny-Boy“ genannt, „kam nicht mehr als er gemütliche Typ daher, sondern er war voller Zorn. Und Skilling trat auf als ein kalter, berechnender Manager, der Enron unter dubiosen Umständen verlassen hat.“

In der Tat hatten beide der Anklage in den letzten Wochen wenig entgegenzusetzen. Im Gespräch mit den eigenen Anwälten bemühten sie sich zwar redlich, ein Bild zu zeichnen, wonach gierige Anwälte, die Presse und Unterschlagungen des bereits verurteilten ehemaligen Finanzchefs Andrew Fastow den Untergang von Enron besiegelt hätten. Doch im Kreuzverhör konnten beide diesen Eindruck nicht aufrecht erhalten.

Der Wirtschaftsanwalt Joel Androphy kritisierte am Wochenende gegenüber CNN, dass die Frage, warum Enron nun zusammengebrochen sei, nie klar beantwortet worden sei. Dass Anleger durch schnelle Verkäufe und über Short-Positionen das Unternehmen gestürzt hätten sei „weit hergeholt, zumal die Anklage 22 Zeugen aufgeboten hat, die Lay und Skillings Management mehr oder weniger direkt die Schuld gaben.“ Deren Politik allzu gieriger Erfolgsforderungen hätte zu Betrug in verschiedenen Einheiten führen müssen, urteilten mehrere Zeugen.

Aktienverkäufe über 70 Millionen Dollar und das Engagement von Ken Lay´s eigenem Sohn als Shortseller in Enron-Aktien konnte der Firmengründer zudem nicht nachvollziehbar erklären, was seine Glaubwürdigkeit als Opfer einer zu groß gewachsenen Holding und ihrer Investoren weiter aushöhlte.

Anwalt Androphy sieht den Fall für die Jury dennoch nicht als bereits entschieden an. Die Jury muss immerhin zu einem einstimmigen Urteil kommen, was nicht sicher sei. Während Jeff Skilling von einem gescheiterten Prozess profitieren könnte, komme allerdings bei Lay eben die zweite Klage ins Spiel. Letzten Endes wird der frühere Boss und Bush-Freund wohl hinter Gittern landen. „Ob das dann für Aktienbetrug oder Keditbetrug ist, spielt keine Rolle“, kommentiert John Bielema, ein weiterer Prozessbeobachter und Wirtschaftsjurist aus Atlanta.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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