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Alt 10-05-2006, 21:05   #477
Starlight
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US-Werbung: Jodler, Plattler und ein Crash

Auf dem Rücksitz eines Nissan Optima sitzt ein Bayer in Festtracht und jodelt. Aus voller Brust. Dann beugt er sich vor, lauscht – und hört nach ein paar Sekunden das Echo schallen. So groß ist der Nissan Optima, so leise. Und so beliebt ist das Klischee vom jodelnden Bayern, dass es in der amerikanischen Werbung immer gerne genutzt wird.

Auch bei Pepsi. Der Brausekonzern lässt in einem 60-Sekunden-Kurzfilm eine Fußball-Weltauswahl mit David Beckham, Roberto Carlos und Ronaldinho beim Oktoberfest auflaufen und gegen die lokale Schuhplattlergruppe antreten – an deren Schenkel-Ball-Koordination die Profis gnadenlos scheitern. Eine gute Maß Pepsi gibt es nachher aber für Gewinner und Verlierer.

Da wäre es gelacht, wenn sich die Deutschen nicht selbst parodieren könnten: Volkswagen präsentiert den Golf GTI in einem Techniklabor wie aus dem Kraftwerk-Video. „Time to un-pimp se auto“, meint der Chef mit krassem Akzent. Und „German engineering in se haus.“ Das ist lustig.

Witzige Werbung läuft aber nur eine kurze Zeit lang erfolgreich, nämlich bis jeder den Spaß zweimal gesehen hat. Entsprechend hat VW das Konzept schon wieder geändert, gibt sich in einer Serie neuer Spots ganz seriös – und stößt plötzlich auf Ablehnung und bittere Proteste. Der Grund: VW zeigt in zwei Spots einen Autounfall mit echten Schauspielern. Man will die Sicherheit der Wagen verkaufen und soll nun ausgerechnet damit die Grenzen des guten Geschmacks überschritten haben.

Der Spot: Zwei Männer unterhalten sich über Probleme mit der Freundin. Sie sind abgelenkt, fahren nicht konzentriert. Ein roter Pick-Up parkt aus einer Einfahrt aus. Der Jetta kesselt ungebremst (mit der in Amerika üblichen Testgeschwindigkeit von 51 km/h) in den Truck. Die Airbags schießen auf, die Männer hinein – in der nächsten Szene stehen sie unverletzt neben einem nur mäßig zerknautschten Auto. Alles ist echt. VW bediente sich für den Kurzfilm nicht etwa technischer Tricks, sondern wirklicher Stuntmen. Die Aufnahme ist ungeschnitten. Schließlich vertraut der Hersteller auf sein eigenes Produkt, und das soll der Kunde sehen – ohne dass er sich wieder über gestellte Crashs mit Dummies und Betonmauern langweilen soll.

Die Kritik überrascht die Experten bei VW und der Werbeagentur Crispin Porter + Bogusky nicht. „Shock value“ ist in Amerika offiziell verpönt, wenngleich das Element des plötzlichen Schreckens das Fernsehen zur besten Sendezeit unangefochten beherrscht und auch im Kino vor allem die Thriller und Gruselfilme immer besser laufen. Aber eben nicht mit echten Menschen, so der gängige Einwand. Zumal die Spots bei allem Realismus eben doch nicht zwingend realistisch seien. Immerhin sei jeder Crash anders, und es gehe eben (auch im Jetta) nicht immer so gut aus, kritisiert das amerikanische Institut für Fahrzeugsicherheit die Werbung.

Volkswagen hat die Spots trotzdem (noch) nicht zurück gezogen. Vielleicht ist man einfach der Meinung, dass auch jodelnde Bayern in Festtracht und das Echo zwischen Lenkrad und Hutablage nicht ganz realistisch und deshalb nicht unbedingt besser sind.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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