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Alt 02-05-2006, 19:03   #471
Starlight
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Transparenz erhöht die Volatilität

Zwei Missverständnisse über die künftige Fed-Politik haben die Wall Street binnen weniger Handelsstunden schwanken lassen. Am Dienstagmittag scheint wieder alles beim alten, und Börsenexperten reflektieren über eine abenteuerliche Geschichte, die zeigt, dass Transparenz manchmal nicht Sicherheit, sondern Volatilität in den Markt bringt.

Was ist passiert? – Das jüngste Zins-Theater beginnt mit Ben Bernankes Rechenschaftsbericht vor dem Senat in der vergangenen Woche. Da sagte der Chef der US-Notenbank, dass ein baldiges Ende der laufenden Zins-Anhebungen durchaus eine Pause sein könne und nicht auf Dauer das letzte Wort. Der Markt richtete sich danach auf nur noch eine weitere Zinsanhebung ein und eben auf eine Pause im Juni.

Dann traf beim Korrespondenten-Dinner am Wochenende in Washington die CNBC-Moderatorin Maria Bartiromo auf Bernanke und hakte nach: Hat der Markt die jüngsten Aussagen richtig interpretiert. Der Chairman meinte: Nein! Er habe weniger eine Pause angekündigt als dem Markt die unveränderte Flexibilität der Fed erklären wollen. Es könne durchaus weitere Anhebungen geben, er sei nicht als Friedenstaube an die Spitze der Notenbank berufen worden.

Kaum hatte Bartiromo am Montagnachmittag von ihrer Dinner-Konversation berichtet, brach der Markt ein. Völlig zu unrecht, wie man heute meint. Mit einer baldigen Zinspause sei nach wie vor zu rechnen, sind sich Analysten weitgehend einig – der Markt legt wieder zu.

Was will uns die Geschichte lehren: Zuviel Transparenz beunruhigt den Markt. Zumal, da sich die Fed traditionell vage ausdrückt und verschiedene Interpretationen einer Zinsentscheidung oder eines Sitzungsprotokolls stets möglich sind.

Das wiederum kommt daher, dass auch der beste Experte im Fed-Gremium nur vermuten kann, wie stark oder schwach die Wirtschaftsdaten in den jeweils kommenden Wochen ausfallen werden. Wissen tut das niemand. Dennoch will keiner unwissend scheinen, wenn nach der nächsten Sitzung – bis zu zwei Monate später – der alte Pressetext hervorgekramt und die Entwicklung verglichen wird. Entsprechend sorgt man vor: Die Presseerklärung zur Zinsentscheidung wird so schwammig formuliert, dass sich im Prinzip doch jeder seine eigene Meinung zurechtinterpretieren kann.

So dauerte es eine ganze Zeit, bis sich der Markt vor knapp zwei Jahren auf eine Interpretation der „wahrscheinlich schrittweisen Anhebungen“ geeinigt hatte. Und genauso dauert es auch jetzt eine Zeit, bis der Markt weiß, was mit einem „möglicherweise baldigen Ende“ der Zinsschritte gemeint ist, das sowohl im Protokoll der letzten Sitzung als auch in Äußerungen von Bernanke vor dem Senat sowie seiner Kollegen bei verschiedenen Ansprachen erwähnt worden ist.

Denn was ist ein „baldiges Ende“? Angesichts des aktuellen Zinssatzes liegt es nahe, auf einen Zielsatz von 5,0 Prozent zu spekulieren, denn das wäre ein schöner, runder Wert. Doch darauf allein achtet die Fed nicht. Sie sagt am ehesten, dass vielleicht noch mit ein, zwei oder drei Schritten zu rechnen ist. Selbst mit vier ausstehenden Schritten wäre ein Ende relativ nahe, bedenkt man, dass der Markt schon 15 Anhebungen hinter sich hat.

Eine Aussage, die die weiteren Entscheidungen der Fed recht präzise vorweg nimmt, stand übrigens auch im jüngsten Protokoll: „Die weitere Zinspolitik hängt von künftigen Konjunkturdaten ab“, heißt es dort. Das taugt Anlegern als Prognose nicht, ist aber wenigstens ehrlich. Und deshalb hätte sich der Markt damit zufrieden geben sollen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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