Die Wall Street trotzt der Öl-Krise
Auf einem dicken Ölfilm ist schon mancher ins Schleudern geraten, der amerikanische Aktienmarkt aber interessanterweise nicht. Trotz rasant steigender Ölpreise klettert die Wall Street schon den dritten Tag in Folge, obwohl sich auch Corporate America bereits lautstark Sorgen macht.
Wal-Mart, zum Beispiel, klagt am Donnerstag über die Gefahr steigender Energiepreise. Die lässt sich dieser Tage auch kaum übersehen. Der Juni-Kontrakt für ein Fass Rohöl handelt gerade über 74 Dollar, an Tankstellen im ganzen Land hat Benzin die 3-Dollar-Marke wieder überschritte. Wenige Wochen vor Beginn der Hurrikan-Saison ist man nun da, wo man zuletzt unmittelbar nach „Katrina“ und „Rita“ im letzten Jahr war.
Das ist umso bedenklicher, weil die meisten Marktbeobachter die Hurrikan-Saison in ihre Preisberechnungen noch gar nicht mit einbezogen haben. Die jüngsten Preisanstiege beruhen einerseits auf den sinkenden Lagerbeständen an Öl, Benzin und Destillaten in den USA, andererseits auf den geopolitischen Sorgen des Marktes:
Die Lage im Iran ist äußerst kritisch und die Produktion von zur Zeit 900 Millionen Fass Öl täglich alles andere als langfristig gesichert. In Nigeria kämpfen Rebellen weiter gegen die Öl-Konzerne und haben erst Mitte dieser Woche neue Drohungen ausgesprochen. Wenn dich die Konzerne beugen und „abhauen solange sie noch können“, würden weitere 340 Millionen Fass Öl täglich fehlen. Weitere 330 Millionen Fass produziert Venezuela, und auch um die Stabilität der Branche in diesem Staat macht man sich Sorgen.
Wird nun die Hurrikan-Saison so stark wie Meteorologen befürchten – nach Expertenmeinung sollen die Stürme des letzten Jahres keine historischen Ausnahmen bleiben –, könnten auch die 340 Millionen Fass Öl wegfallen, die täglich in den USA und größtenteils vor der Golf-Küste gefördert werden. Insgesamt sorgt man sich also zur Zeit um 2,1 Milliarden Fass Öl, die in den nächsten Monaten nicht unbedingt vom Markt verschwinden werden, aber durchaus könnten.
Die Preise werden also weiter steigen, den Verbraucher trifft das in der eben beginnenden Reisezeit besonders hart. Bei Wal-Mart rechnet man entsprechende Umsatzeinbußen an, zumal der weltgrößte Einzelhändler größtenteils von Kunden mit eingeschränktem Budget lebt. Die schränken sich umso drastischer ein, je höher die fixen Ausgaben klettern. Entsprechend ist die Aktie des Branchenriesen wieder einmal kein unbedingter Kauf-Wert, vergleichsweise besser dürften sich im aktuellen Umfeld die höherpreisigen Ketten schlagen, deren Kunden mehr finanzielle Flexibilität haben und hohe Spritpreise nicht unbedingt an anderer Stelle durch Einsparungen ausgleichen.
Hilfe in der aktuellen Zwangslage erhofft sich Wal-Mart übrigens aus dem Kongress – auf ungeahnte Weise. In Washington will man in den nächsten Wochen eine immer wieder mal auftauchende Gesetzesvorlage erneut besprechen, die eine Anhebung des Mindestlohnes vorsieht. Erstmals ist der Einzelhändler voll dafür. Zwar muss man selbst dann mit höheren Lohnkosten rechnen, doch profitiert eben vor allem der Wal-Mart-Kunde, der zu einem großen Teil aus der Mindestlohn-Klasse stammt.
Allzu schnell ist mit einer Durchsetzung der neuen Lohn-Regelung aber nicht zu rechnen, wie auch Wal-Mart weiß. So sind die Aussichten für das Unternehmen gedämpft, was Anleger interessanterweise nicht betrübt. Die Aktie handelt am Donnerstag unverändert und bleibt in ihrer fast schon traditionellen Handelsspanne. Doch auch das ist nicht halb so erstaunlich wie die Stärke des breiten Marktes. Der zieht im Eiltempo weiter aufwärts und will von allen Sorgen um Öl und den Verbraucher nichts wissen.
Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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