Alles nur ein Spiel?
von Dr. Bernd Niquet
Manchmal kommen mir Zweifel, wie lange das eigentlich noch
gut gehen kann so. Meistens passiert das dann, wenn ich mein
Depot durchgehe und die jeweils neuen Kurse eintrage. Irgend-
etwas geht da immer beinahe senkrecht in die Hoehe. Derzeit
kraenkelt der Dax etwas - zudem habe ich hier fast gaenzlich
Kasse gemacht - da schnellen die Rohstoffaktien in die Hoehe
als gaebe es kein Morgen mehr. Und unten auf der Strasse, da
schuften der Baecker, der Handwerker und der Besitzer des
Lebensmittelladens beinahe rund um die Uhr, um ihren Lebens-
unterhalt zu bestreiten.
Wer mit den Finanzen zu tun hat und sie einzusetzen weiss,
der wird immer reicher. Und wer nur seine Arbeitskraft hat,
wird immer aermer. Das ganze Leben ist nur ein grosses Spiel
ums Geld und mit dem Geld. Wir gleiten anscheinend nicht nur
mental, sondern auch wirtschaftlich und finanziell in die
Spielphase zurueck. Kann so etwas gut gehen? Eine Antwort
darauf ist nur schwer zu geben - und vor allem in den gaengi-
gen Kategorien gar nicht zu erfassen.
Der groesste Fehler der oekonomischen Theorie ist es aus mei-
ner Sicht, dass sie stets am arbeitenden, konsumierenden und
investierenden Haushalten und Unternehmen ansetzt. Dabei ent-
steht ein idealistisches Zerrbild, denn in Wirklichkeit ist
es wohl eher die Anhaeufung und Mehrung der Vermoegen, die
unser Wirtschafts- und Finanzsystem antreibt. Ich habe dazu
einmal geschrieben, dass frueher - vor den Weltkriegen sowie
in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg - die Versor-
gung der Menschen mit Guetern das primaere wirtschaftliche
Problem darstellte, das sich heutzutage jedoch radikal umge-
kehrt hat: Frueher wurden wir von einem Guetervakuum gezogen,
heute hingegen werden wir von einem riesigen Vermoegensberg
nach vorne getrieben.
Die herrschende Meinung verkennt in diesem Zusammenhang, dass
es sich hierbei um ein ganz normales Systemphaenomen handelt
und nicht um einen temporaeren Spezialfall, wie uns immer
wieder vorgegaukelt wird. Dahinter steckt natuerlich erneut
ein Theoriedefizit. Die gaengige Lehre verkuendet uns naem-
lich, dass es nur die Zentralbanken sind, die durch ihre
lockere Geldpolitik den Anlagebedarf schaffen, den wir gegen-
waertig beobachten und der die Kurse treibt. Doch nichts
koennte falscher sein.
Es ist nicht das Geld, das die Kurse treibt, sondern es ist
das Vermoegen. Je hoeher das Vermoegen der Leute, umso hoeher
die Kurse. Und umso hoeher die Kurse, umso hoeher die Vermoe-
gen. Man sieht sofort, dass wir es hier mit einer sich selbst
verstaerkenden Bewegung zu tun haben. Das System schaukelt
sich immer weiter nach oben - und zwar weitgehend ohne das
Zutun der Notenbanken. Das wird allerdings nicht verstanden,
weil fast alle Menschen das Bild im Kopf haben, dass es das
Geld ist, was die Kurse antreibt. Sie glauben, das Geld be-
faende sich auf der Suche nach Anlage. Dass dem allerdings
nicht so ist, zeigt bereits das einfache Gedankenspiel, dass
jedem Kauf immer ein Verkauf oder eine Neuemission gegenueber
steht. Und das heisst: Das Geld sucht zwar eine Anlage, aber
es kann aus prinzipiellen Gruenden keine finden, weil Geld
immer Geld bleibt und ein Asset immer ein Asset. Transforma-
tionen sind dabei prinzipiell ausgeschlossen. Aus Geld kann
nie eine Aktie werden und aus einer Aktie niemals Geld,
Steigt jedoch das Vermoegen, steigen also beispielsweise die
Aktien, dann zieht das Diversifizierungstendenzen nach sich,
was dazu fuehrt, dass anschliessend auch alle anderen Aktiva
ansteigen. Das Geld ist dabei nicht mehr als das "Medium of
Exchange", also das Mittel, in dem diese Transaktionen abge-
wickelt werden muessen. Seine Menge ist relativ egal, da sei-
ne Umlaufsgeschwindigkeit voellig flexibel ist.
Wie ist diesem Zirkel nun zu entkommen? Auf jeden Fall nicht
durch eine Reduktion der Geldmenge, weil dadurch das Vermoe-
gen nicht verkleinert wird. Sondern nur durch eine grosse
Vermoegensentwertung. In Gleichgewichten gesprochen: Das Ver-
moegen muesste so weit entwertet werden, bis sich die Arbeit
wieder lohnt. Doch welche Kraft koennte eine derartige Anpas-
sung erreichen?
Eigentlich geht es nur, wenn der Konsens der dauernden Ver-
moegensmehrung von innen her durchbrochen wird. Wenn aus dem
"Reichwerden" ploetzlich eine "Rette-sich-wer-kann-Strategie"
wird. Und hier spielen die Notenbanken natuerlich sehr wohl
eine Rolle. Im Jahr 2000 ist so ein ploetzlicher Bruch des
Konsenses passiert, und es grenzt an ein Wunder, dass nicht
ein oder zwei Generationen vergangen sind, bis man wieder
Vertrauen gefasst hat. Vielleicht kommt der richtige Knack-
punkt ja erst in den naechsten Jahren. Ostern jedoch werden
sicherlich noch keine Eier zerplatzen. In diesem Sinne ein
frohes Fest!
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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