Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 22-02-2006, 07:50   #125
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
100 Jahre André Kostolany

Von Bernd Niquet
Vor einer guten Woche wäre er hundert Jahre alt geworden, der „Altmeister“ der Börse, André Kostolany. Auch ich gehöre natürlich zu seinen Schülern – und auch mir ist es so gegangen wie vielen, dass ich schon in den frühen achtziger Jahren mit dem Buch in der Hand sehnsüchtig gestanden und auf ein Autogramm gewartet habe. Und natürlich, um vielleicht doch irgendwie eine ganz persönliche Einschätzung zu erhalten. Kosto, der erste und vielleicht einzige echte Popstar, den die Börse in den vergangenen Jahrzehnten herausgebracht hat.

Ich habe damals im Zeitschriftenarchiv alle alten „Capital“-Nummern herausgesucht, die Kosto-Kolumnen kopiert und zu einem dicken Buch binden lassen. Und natürlich die Bücher gelesen. Viele Dinge sind bis heute unübertroffen – und werden es wohl auch auf ewig sein. Alleine die Geschichte des Vergleiches von Wirtschaft und Börse mit dem Spaziergang von Herrchen und Hund. Beide kommen auf jeden Fall zur gleichen Zeit zu Hause an. Doch was zwischenzeitlich passiert, ist weder kalkulierbar noch wichtig. Denn man braucht sowieso die vier großen „G“, um an der Börse Erfolg haben zu können: Gedanken, Geduld, Geld und Glück. Fehlt nur eines davon, dann sieht es schlecht aus.

Kostolany hat das sogar auf eine Formel gebracht. Auch hier wieder unübertroffen. „An der Börse ist zwei Mal zwei stets fünf minus eins: 2*2=5-1.“ Ohne Berücksichtigung des Zeitfaktors ist also alles paradox. Die Gleichung geht erst dann auf, wenn genug Zeit verstreicht, um die Gedanken zur Geltung kommen zu lassen. Am meisten geschätzt habe ich stets Kostos Geisteshaltung. Den Kapitalismus zu verteidigen und ihn trotzdem kritisch zu sehen. Den Leuten etwas beibringen zu wollen, sich selbst aber nicht zu wichtig zu nehmen. Natürlich war er für die Tagesspekulanten nur ein alter Geschichtenerzähler. Doch wer bei Kostos Tod im Jahr 1999 ein Trader war, ist heute pleite. Und wieder hat der Altmeister Recht bekommen.

Ja, Kostolany war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Und genau darin lag seine Größe! Schließlich steht eine explizite Theorie dahinter. Sie lautet: „Der Finanzmarkt ist eigentlich ein Theater, an dem immer wieder das selbe Stück gespielt wird, allerdings jedes Mal unter einem anderen Namen.“ Besser kann man das nicht sagen. Doch genau an dieser Stelle beginnt die Schwierigkeit beim Verstehen von Kostolanys Weisheiten. Und nicht nur dieser; es ist vielmehr ein allgemeines Problem:

Es gibt grundsätzlich zwei Arten des Verstehens – ein inneres und ein äußeres Verstehen. Unsere Wissenschaft reduziert sich auf das äußere Erkennen der Dinge. Hier werden Gesetzmäßigkeiten aufgestellt, welche zwischen den Dingen gesetzmäßige Beziehungen herstellen. Hierüber Bescheid zu wissen, ist wichtig. Es ist jedoch erst der erste Schritt. Der zweite Schritt ist es, dieses Wissen innerlich erlebbar zu machen. Und das geht nur durch eigene Erfahrungen. Das heißt: Kostolany kann man eigentlich erst dann wirklich verstehen, wenn man selbst erlebt hat, worüber er schreibt. Das ist natürlich paradox, weil seine Texte eigentlich schon beim ersten Lesen durchaus nicht einfach zu verstehen sind.

Doch wie sollte eine Lektüre über etwas Paradoxes wie die Börse diese angemessen beschreiben und selbst nicht paradox sein. Das ist völlig unmöglich. Genau an dieser Stelle unterscheiden sich denn auch die Kenner von den Anfängern: Das Schwere leicht nehmen, das kann jeder Dummkopf. Doch um das Leichte schwer zu nehmen, dafür braucht man mindestens zwanzig Jahre Börsenerfahrung.

Quelle: Instock.de
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten