Alles in Ordnung mit unserem Geld
von Dr. Bernd Niquet
In der letzten Woche habe ich versucht, Ihnen eine passable
Gelddefinition zu praesentieren. Sie lautet: Nur Bargeld ist
Geld, also Geldscheine und Guthaben bei der Zentralbank. Denn
nur sie sind Forderungen gegenueber derjenigen Stelle, die
als einzige Bargeld emittieren kann. Sichtguthaben hingegen
sind immer Forderungen gegenueber einer Privatbank. Sie er-
fuellen zwar die Geldfunktion genauso gut wie Bargeld -
manchmal vielleicht sogar besser -, doch sie sind stets dem
Bonitaetsrisiko der Geschaeftsbank ausgesetzt.
Sichtguthaben und alle weiteren geldnahen Aktiva wie Termin-
guthaben und Spareinlagen koennen also stets nur in einem be-
stimmten Verhaeltnis zum Bargeld entstehen oder von den Ge-
schaeftsbanken "geschoepft" werden. Sie sind Forderungen fuer
den Halter und Verbindlichkeiten fuer die Bank - und damit
prinzipiell nichts anderes als die sonstigen Derivate. Hier
existiert ein ganz aehnlicher "Turm" von Forderungen und Ver-
bindlichkeiten, der auf einer streng limitierten Menge von
Zentralbankgeld errichtet wurde. Das ist prinzipiell das
Gleiche, wie es in der Finanzmaerkten bei Derivaten auf Ak-
tien, Rohstoffe oder sonstige Kontrakte der Fall ist.
Nun ist die Situation beim Geld jedoch einerseits einfach,
andererseits verzwickter. Denn da das Geld (im Gegensatz zu
den Aktien) der Wertstandard einer Geldwirtschaft ist (alle
Waren werden in Geldpreisen ausgedrueckt und nicht in Aktien-
preisen), ergibt sich fuer die Besitzer von Geldderivaten
(also Sichtguthaben etc.) ein Vorteil und ein Nachteil: Der
Vorteil ist, dass das Halten von Geldderivaten kein Kurs-
aenderungsrisiko beinhaltet (der Preis von einem Euro Geld-
derivat ist stets eins, also ein Euro). Der Nachteil ist
allerdings, dass der Halter jedoch stets dem Systemrisiko
ausgesetzt ist. Das bedeutet, wenn das Geldwesen als Ganzes
zusammenbrechen wuerde, dann leidet der Besitzer von Geld-
derivaten selbst dann darunter, wenn die Geschaeftsbank, ge-
gen die er seine Forderungen hat, eigentlich die beste Boni-
taet besitzt. Halter anderer Aktiva hingegen koennten davon
unberuehrt bleiben. Aktien, Devisen und Rohstoffe haben bei
einer Geldkrise sicherlich gute Chancen als Mittel zur Wert-
erhaltung zu fungieren und daher in ihrem Kurs deutlich zuzu-
legen.
So - das war jetzt ganz schoen kompliziert. Und was laesst
sich daraus folgern? Die wichtigsten Punkte sind fuer mich
die folgenden: Die Zentralbankgeldmengen sind weltweit nicht
sehr stark angestiegen. Was hingegen deutlich zugelegt hat,
sind die hoeheren Aggregate wie M3. Das jedoch heisst: Der
Geldumlauf hat sich keineswegs besorgniserregend gesteigert.
Es wird nur ein immer groesserer "Turm" darueber gebaut.
Muss uns das Sorgen machen? Einerseits denke ich nicht, denn
die institutionellen Veraenderungen des Finanzwesens haben
dazu gefuehrt, dass heute viel staerker mit Derivaten gear-
beitet wird. Mann muss dazu nur einmal einkaufen gehen und
beobachten, wie wenig Menschen ueberhaupt noch Geld benutzen.
Aber auch der Anlagesektor bietet geldnahe Aktiva in Huelle
und Fuelle, was bis vor einigen Jahren alles noch nicht der
Fall war, so dass alle Statistiken, die Vergleiche zu den
Siebziger und Achtziger Jahren anfuehren, deutlich hinken.
Auf der anderen Seite ist jedoch auch nicht zu verleugnen,
dass hier mittlerweile ein derart grosses Rad gedreht wird,
dass einem schwindeln kann. Die Buecher der Banken und Fi-
nanzinstitutionen blaehen sich immer staerker auf. Forderun-
gen und Verbindlichkeiten explodieren wie die Pilze nach ei-
nem warmen Regenguss. Ich muss nur an mein eigenes Depot den-
ken, bei dem die ABN Amro ueber die ganzen Rohstoffzertifi-
kate mittlerweile zum groessten Risiko geworden ist. Wenn
hier irgendein Unfall passieren wuerde ... Doch das sind nur
dumpfe Aengste ...
Wer allerdings Bargeld direkt haelt, braucht sich tatsaech-
lich keinerlei Sorgen zu machen. Man sollte beispielsweise
nur daran denken, dass die Zentralbankgeldmenge in den USA zu
mehr als hundert Prozent durch Gold gedeckt ist. Da sieht man
einmal, wie sehr der Augenschein doch oft taeuschen kann.
Dollarscheine sehen zwar aus wie Fetzen Papier, sind letzt-
lich jedoch hart wie Gold.
++++++
Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
|