Was ist eigentlich Geld
von Dr. Bernd Niquet
Ein Gespenst geht um in den Weltfinanzen - das Gespenst der
uebermaessig ausgeweiteten Geldmengen. Und alle Maechte des
alten Establishments haben sich zu einer heiligen Hetzjagd
gegen dieses Gespenst verbuendet. Die Financial Community
teilt sich in dieser Hinsicht in zwei Gruppen auf: Die eine
Haelfte hat eine falsche Geldtheorie. Und die andere Haelfte
hat gar keine.
Die entscheidende Frage lautet: Was ist eigentlich Geld? Die
Ausfuehrungen der Wirtschaftswissenschaften zu diesem Thema
sind beschaemend. Es existieren so viele Gelddefinition wie
es unterschiedliche Theoriestroemungen gibt. Wenn die Aerzte
die Krankheiten genauso definieren wuerden wie die Oekonomen
das Geld, dann waeren wir alle schon laengst tot.
Im Endeffekt erleben wir damit eine Anti-Objektivierung und
Demokratisierung der Wissenschaft: Dem groessten gemeinsamen
Nenner wird die Regentschaft auf Zeit verliehen. Was Geld ist
und was nicht, ist nicht Resultat einer Sachentscheidung,
sondern ein Kompromiss der verschiedenen Auffassungen. Das
Geld regiert die Welt, doch keiner weiss eigentlich so genau,
was darunter zu verstehen ist. In der Tyrannei kannte man den
Unterdruecker noch sehr genau. In der Geldwirtschaft hingegen
bleibt der Regent ein Phaenomen - und der Einzelne der sub-
jektiven Spekulation ueberlassen. Was fuer ein Befund.
Und dann passiert auch noch das Schlimmste vom Schlimmen.
Ueber die Geldmenge M3, auf die sich zwischenzeitlich ein
grosser Konsens als relevante Gelddefinition geeinigt hat,
werden ab sofort von der US-Notenbank keine Zahlen mehr ver-
oeffentlicht. Nun droht also der absolute Blindflug. Zeter
und Mordio werden gerufen, und die Verschwoerungstheorien
spriessen aus dem Boden: Jetzt gehe es unserem Geldwesen an
den Kragen. Doch wie kann man eigentlich glauben, dass es dem
Geld an den Kragen geht, wenn gar nicht klar ist, was Geld
ist? Ein Phantom laesst sich doch nicht so einfach aufknuep-
fen.
Das Schwierige am Geld ist, dass es eine Doppelfunktion aus-
uebt. Geld ist einerseits der Wertstandard, in dem alles, was
selbst nicht Geld ist, bewertet wird. Und andererseits selbst
ein Aktivum. Wenn ich fuenf Aepfel besitze, die jeder einen
Euro wert sind, dann habe ich ein Vermoegen von fuenf Euro.
Aber ich habe kein Geld. Hier beginnt das grosse Missver-
staendnis des Geldes. Und es setzt sich fort, wenn man von
Aepfeln zu weit liquideren Anlageformen kommt.
Nehmen wir zuerst eine Staatsanleihe. Ist sie Geld? Nein,
denn ich kann mit ihr nicht bezahlen. Sie ist zwar in Geld
bewertet und zudem jeden Tag zu Geld zu machen, doch sie ist
selbst kein Geld.
Was ist mit einer Spareinlage? Ist sie Geld? Das ist schon
schwerer, denn um sie fuer Zahlungen einzusetzen, muss ich
sie nicht am Markt zu Geld machen, denn sie ist ja schon
irgendwie Geld. Allerdings kein richtiges Geld und ein
"Geld", das nicht heute, sondern erst spaeter verfuegbar ist.
Spareinlagen sind also kaum als Geld zu bezeichnen.
Und jetzt wird es ganz schwierig. Was ist mit den Sichteinla-
gen bei einer Geschaeftsbank? Sind sie Geld? Denn sie sind
taeglich verfuegbar und unbeschraenkt zu Zahlungen einsetz-
bar. Wo ist jetzt noch der Unterschied zu Bargeld, also zu
Geldscheinen oder Guthaben bei der Zentralbank? Das Fatale
ist, dass in normalen Zeiten hier kein Unterschied zu merken
ist. Im Gegenteil, Sichtguthaben erfuellen eigentlich viel
besser die Geldfunktion als das Bargeld, weil sie viel besser
zu transferieren und damit fuer Zahlungen zu benutzen sind.
Und dennoch ist es unsinnig, Sichteinlagen als Geld zu be-
zeichnen. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied:
Geldscheine und Guthaben bei der Zentralbank sind Forderungen
gegen die Zentralbank. Und Sichtguthaben bei Geschaeftsbanken
sind stets Forderungen gegen eine Geschaeftsbank. Geht die
Geschaeftsbank pleite, ist das Sichtguthaben futsch. (Und man
muss auf den Einlagensicherungsfonds hoffen.) Das Bargeld und
das Guthaben bei der Zentralbank bleiben davon hingegen unbe-
ruehrt.
Die Auswirkungen einer derartigen Interpretation unseres
Geldwesens fuer das Verstaendnis der gegenwaertigen Lage der
Weltfinanzen sind enorm. Aus Platzgruenden werde ich sie
Ihnen jedoch erst am naechsten Wochenende an dieser Stelle
naeher ausfuehren koennen.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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