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Alt 15-01-2006, 13:41   #118
621Paul
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Einige Bemerkungen zur Gold-Hausse

von Dr. Bernd Niquet

In dieser Woche haben wir den hoechsten Goldpreis seit 25
Jahren erlebt. Bis zu den Topkursen aus den 70er Jahren ist
allerdings noch viel Platz nach oben. Ich erinnere mich noch
sehr gut, wie das damals war. Da sass ich am Bankschalter und
bei mir liefen die Kunden auf, die um den Erhalt ihrer Ver-
moegen zitterten. Es freut mich sehr, dass sie alle jetzt
endlich ihre Einstiegskurse wieder sehen.

Die Goldpreisexplosion der 70er Jahre war die erste Hausse,
die ich in meinen Leben mitgemacht habe. Damals gab es zwei-
stellige Inflationsraten und die Menschen suchten nach einer
Anlageform, ihr Vermoegen zu sichern. Denn die Kaufkraft nahm
rapide ab, und durch die Oelkrise drohte alles noch schlimmer
zu werden. Der Report des "Club of Rome" verkuendete gar ein
baldiges Ende der Oelversorgung und wies somit auf eine dau-
erhafte Hyperinflation. Dann ist jedoch alles - wie eigent-
lich fast immer - doch voellig anders gekommen.

Heute steigt der Goldpreis wieder, wir haben jedoch keine
signifikante Inflation. Die Energiepreise sind deutlich ge-
stiegen, aber die meisten Faktoren deuten eher auf ein defla-
tionaeres als auf ein inflationaeres Szenario. Doch in der
Deflation, das weiss heute jedes Kind, ist derjenige der Koe-
nig, der liquide ist. Und nicht derjenige, der sein Vermoegen
in Edelmetallen oder Betongold bindet.

Warum trotzdem der Anstieg der Goldpreise? Es scheint eine
grosse Furcht der Menschen vor dem Verlust ihrer Ersparnisse
zu grassieren. Doch warum das? Weil die ganzen Finanzstruk-
turen weltweit so verwirrend sind - und man daher lieber den
Taler in der Hand haelt als sich auf die Abenteuer der boes-
artigen Welt da draussen einzulassen?

Vieles ist natuerlich von den entsprechenden Interessen-
gruppen lanciert und beruht zudem auf voellig falschen Vor-
stellungen von unserem Geldwesen. Ich werde nicht muede, im-
mer wieder darauf hinzuweisen. Ebenso wie bei der Internet-
hausse vor der Jahrtausendwende ist sehr deutlich zu erken-
nen, dass der Hausse das Fundament fehlt. Es gibt heute
schlichtweg genauso wenig Grund, das Gold in die Hoehe zu
jubeln, wie es vorher Grund gab, die Internet- und Neue
Markt-Werte in den Himmel zu treiben. Das sollte jeder wis-
sen, der hier mitlaeuft. Und wenn ihm das klar ist, dann ist
es okay, mitzuspielen.

Ich fuerchte jedoch, dass viele Unsichere hier mit voellig
falschen Vorstellungen investieren. Sie glauben, die Geldmen-
genausweitungen weltweit wuerden unsere Waehrungen schwaechen
und schliesslich das ganze "Papiergeld"-System zum Einsturz
bringen. Und sie glauben, dass sie fuer diesen Fall im Gold
richtig investiert sind. Ich behaupte, dass diese Investoren
gleich einem zweifachen Irrtum aufgesessen sind: Erstens wer-
den unsere Waehrungen nicht krachen. Und zweitens, selbst
wenn das passieren wuerde, waere Gold nicht die geeignete An-
lage fuer diesen Fall der Faelle.

Es ist ein Trugschluss, die Qualitaet einer Waehrung an der
Menge ihrer umlaufenden Zahlungsmittel festzumachen. Das ist
ein schier nicht mehr zu beseitigender Irrglaube. Wichtig
fuer die Qualitaet einer Waehrung ist ausschliesslich das,
was im Tresor der Notenbank liegt, und wie die Notenbank
agiert. Besitzt die Notenbank gute Sicherheiten, dann ist die
Waehrung gut. Wichtig fuer die Qualitaet einer Waehrung ist
also nicht die Menge der umlaufenden Zahlungsmittel, sondern
die Menge guter und beleihbarer Sicherheiten.

Und die Notenbank muss ihren Refinanzierungssatz ueber denje-
nigen des Geldmarktes setzen, damit nur zu steigenden Zins-
saetzen neues Geld in Umlauf kommt. Ist das gewaehrleistet,
ist alles gut. Dann laeuft genauso viel Geld um wie die Men-
schen gerne halten wollen. Und kein Euro und kein Dollar
mehr. Alles andere ist schlichtweg Propaganda. Waeren die
Menschen tatsaechlich der Meinung, es kursiere zu viel Geld,
dann wuerden sie ihre Bestaende herunter fahren und die da-
fuer bei der Notenbank hinterlegten Assets ausloesen.

Es gibt also keinen faktischen Grund, derzeit Gold zu kaufen.
Ausser denjenigen, dass die anderen Idioten ja auch kaufen.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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