Schöne Neue Welt
12:16 28.12.05
In der letzten Zeit habe ich an zwei großen Themen gekaut: Einerseits: Warum sind viele Menschen so zwanghaft pessimistisch? Woher kommt das und wie wird man so? Und andererseits: Wie muss ein literarisches Werk aussehen, welches die Welt realistisch abbilden will? Gibt es hier überhaupt einen Objektivismus, wie von vielen Seiten behauptet? Und wie stellt man in diesem Zusammenhang das Groteske dar?
Letztlich sind das jedoch alles Scheinprobleme. Das heißt: Sie sind unwichtig, haben keine Bedeutung. Wer sich damit herumplagt, ist ein Dummkopf, denn er vergeudet seine Zeit. Wichtig ist vielmehr etwas ganz anderes. Herausgefunden habe ich das allerdings erst zum Ende der Woche, als ich mein neues Handy bekommen habe.
UMTS für fünf Euro pauschal im Monat. „Was?“ frage ich den Mann bei Vodafone, „dafür habt ihr doch vor nicht langer Zeit hohe Milliardenbeträge gezahlt. Und jetzt gibt es das für fünf Euro quitt im Monat?“ „Die Menge macht es!“ antwortet er. Und ich denke: Was für eine wundervolle Welt.
Jetzt darf ich also so lange wie der Akku hält – und das ist bei meinem neuen Motorola-Handy immerhin eine gute Stunde – mit meinem Handy im Internet surfen. „Allerdings nur im Vodafone-Netz“, sagt der Verkäufer, „aber da ist fast alles drin.“
„Fast alles drin“, das klingt gut. Ich betrete eine Welt, die mir vorher verschlossen war. Als erstes lese ich: „Himmlisch: Xmas-Special!“. Ich klicke auf den Text und es erscheint: „Bei Anruf Weihnachten“ Festliche Ring-Up-Tones fürs Handy“ und „ebay Es weihnachtet schon: Jetzt Geschenke sichern“.
Ich gehe zurück und sehe, dass ich jetzt die „Bunte“ ohne Aufpreis lesen kann. Darunter werde ich mit der Frage konfrontiert: „Asian Babe – Top oder Flop?“. Ich sehe das Gesicht eines Mädchens, klicke auf den Text und werde erst gefragt, ob ich schon über 16 bin, und dann, entweder auf „Top“ oder auf „Flop“ zu klicken. Bei ersterem gibt es neun Punkte, bei letzterem drei. Ich weiß nicht, wofür, was das alles zu bedeuten hat, warum ich das machen soll und orientiere mich weiter.
Striptease kann ich für 0,68 Cents die Sequenz im Abo herunter laden. Das läuft unter „Erotik“. Für den gleichen Preis gibt es den Leitkommentar der FAZ. Bundesligaergebnisse sind frei bis zum Jahresende und kosten dann drei Euro pro Tag, Woche oder Monat und irgendeinen mittelstelligen Centbetrag pro Minute. Alles ist irgendwie kostenfrei bis zum Jahresende, doch anschließend ist man dann Abonnent.
Und ganz langsam beginne ich, die neue Welt zu begreifen. Endlich verstehe ich, warum die Leute sich stets angewidert abwenden, wenn ich in meinen Kolumnen einmal versuche, schwierige Dinge anzupacken und zu erklären. Denn die wirkliche Welt läuft ja völlig anders. Das wirkliche Leben erfordert, prägnante Einzeldinge kurz auszudrücken und für 0,68 Euro pro Klick zu verkaufen – am besten im Abonnement.
Der Vorteil dieser Konzeption gegenüber der Vergangenheit liegt offen zu Tage. Welche Zeitersparnis für uns alle! Wir müssen keine komplizierten Fragen mehr stellen, weil für die Antwort eh viel zu teuer werden würde. Und wie viel einfacher auch das Börsengeschehen!
Vodafone! How are you? The answer for 68 cents. Und einen guten Rutsch dann!
Mit den besten Grüßen!
Bernd Niquet
berndniquet@t-online.de