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Alt 25-12-2005, 10:53   #113
621Paul
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Eine ungeheuerliche Behauptung zum Gold

Von Dr. Bernd Niquet

Warum sind manche Marktteilnehmer am den Finanzmaerkten so
zwanghaft pessimistisch? Warum kaufen so viele derzeit Gold
und denken an einen notwendig bevorstehenden Untergang? In
der letzten Woche habe ich abgeleitet, dass hier stets ein
persoenlicher (!) Tatbestand dahinter steht. Denn - nochmalig
gesagt - die Daten und Information, auf die wir alle bei der
Ableitung unserer Einschaetzungen zurueckgreifen koennen,
sprechen weder eine optimistische noch eine pessimistische
Sprache. Sie lassen stets die Ableitung sowohl eines positi-
ven als auch eines negativen Szenarios zu. Die "Wahl" ist
also stets eine subjektive. Und sie kann entweder "normal"
sein, also im Zeitablauf sich veraendern, oder eben "extrem"
oder noch besser gesagt, "verfestigt" sein.

Doch wie kommt es nun dazu? Ich schlage mich schon sehr lange
mit diesem Thema herum und habe neulich an voellig unvermute-
ter Stelle einen interessanten Fund gemacht. In seinem vier-
baendigen Buch "Der Idiot der Familie" analysiert Jean Paul
Sartre das Leben sowie das Werk des Schriftstellers Gustave
Flaubert - und stellt beides in Beziehung zueinander. Die
Grundfrage ist mithin voellig identisch zur hier gestellten
Frage nach den Gruenden fuer das Herausbilden von Handlung
und Einschaetzung repraesentativer Finanzmarktteilnehmer:
Warum so zwanghaft truebsinnig und misanthropisch?

Warum ist Flaubert geworden wie er geworden ist? Warum sind
die meisten Menschen moderat optimistisch bezueglich unserer
Zukunft? Und warum glauben gleichzeitig - und sind mit dem-
selben Informationsstand versehen - andere an einen Zusammen-
bruch der Weltfinanzen, an einen voelligen Wertverlust des
Papiergeldes und daran, dass das Gold die einzig sichere Ver-
moegensanlage ist?

Sartre nimmt Flauberts Familiesituation minutioes auseinander
und schliesst, dass Flaubert deshalb zum Menschenfeind gewor-
den ist, weil er nie die Chance hatte, sich gegen die Unter-
drueckung in der Familie aufzulehnen oder diese Situation zu
aendern - und nun das unabwendbare Uebel auf die ganz norma-
len menschlichen Beziehungen uebertraegt. Konkret: "(D)a das
Kind sie (die familiaere Situation) nicht anklagen und ver-
aendern kann, verbirgt es sich, indem es sich einredet, das
radikale Uebel regiere allgemein die menschlichen Beziehun-
gen." (Quelle: Taschenbuchausgabe, Teil IV, S. 37.)

Was wir hier finden, ist ein induktiver Schluss, also ein
Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine: "Mir ist ein Uebel
angetan worden, also wird allen ein Uebel angetan werden."
Rein induktive Schluesse sind nun jedoch vom Standpunkt der
Logik aus gar nicht durchfuehrbar, da naemlich jeder induk-
tive Schluss seinerseits einen deduktiven Schluss "Du sollst
verallgemeinern!" beinhaltet. Duerfen wir also verallgemei-
nern und sagen: "Zwanghafter Pessimismus ist etwas Pathologi-
sches"?

Nein, das duerfen wir nicht. Und dennoch bin ich fest der An-
sicht, dass hier der Schluessel zum Verstaendnis der verhaer-
teten Haltungen vieler Menschen liegt. Ich muss mir dazu nur
die verdraengte Aggressivitaet anschauen, die dann zu Tage
tritt, wenn ich mich negativ ueber das Gold und positiv ueber
die Institutionen unserer westlichen Laender einschliesslich
ihrer Geldwesen auslasse. Dann rollt wirklich eine Welle des
Hasses los, die ich anderweitig noch niemals erlebt habe.

Schreibe ich hingegen negativ ueber Aktien, dann ruehrt sich
kaum etwas. Denn Aktien werden in der Regel von Optimisten
gekauft und auch wieder verkauft, jedoch selten als Weltan-
schauung betrachtet. Hier liegen laengst nicht so viele
verdraengte Aggressionen begraben, dafuer jedoch ein weit
groesseres Mass an Selbstreflexion. Wer Aktien kauft, weiss,
auf was er sich einlaesst. Derjenige hingegen, der im Gold
die einzige Rettung sieht, glaubt, unabhaengig von seiner
Person die Zeichen der Zeit zu erkennen, reagiert jedoch
hauptsaechlich auf seine unbewusste innere Befindlichkeit.
Seine Selbstwahrnehmung ist blind. Moege ein goldener Stern
sie wenigstens zum Heiligen Fest zeitweise erleuchten! In
diesem Sinne wuensche ich Ihnen noch wunderbare und vor allem
besinnliche Festtage!


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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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