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Alt 23-12-2005, 20:36   #390
Starlight
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Weihnachtssorgen in Camp David

An der Wall Street wird noch gehandelt, die Banken sind geöffnet, die Geschäfte sowieso, und selbst die U-Bahnen fahren wieder. Nur einer hat sich wieder früher freigenommen, um noch schnell den Baum schmücken und ein Schläfchen halten zu können: US-Präsident Bush weilt schon seit Donnerstag in Camp David.

Dem Präsidenten ist sein Weihnachtsurlaub diesmal aber auch wirklich zu gönnen. Das auslaufende Jahr war kein gutes für ihn, seine Regierung und die ganze republikanische Partei. Bush ist so wenig gelungen, dass seine Beliebtheit in den letzten Wochen auf ein historisches Teif eingebrochen ist, doch halten die Redenschreiber im Weißen Haus krampfhaft an guter Laune, Selbstgefälligkeit und Optimismus fest.

Es sei ein gutes Jahr gewesen, phantasierte George W. deshalb am Donnerstagmittag vor Abflug in sein Winter-Domizil. Man habe drei Wahlen im Irak gesehen, was durchaus ein bewegender Moment „in der Geschichte der Freiheit“ sei. Darüberhinaus sei man einen guten Schritt weiter, so der Präsident, Amerika und die Welt zu einem sicheren Platz gemacht zu haben.

Soweit das Weihnachtsmärchen nach George W. Bush, der sich in den nächsten Tagen auf seinen Lorbeeren und im Kreise seiner Familie ausruhen wird.

Derweil fallen seine Gegner über ihn her. Bei den Demokraten könnte die Stimmung zu Weihnachten eigentlich nicht besser sein. Denn nachdem sich die Regierung im ablaufenden Jahr so viele Patzer geleistet hat wie nie zuvor, stehen die Chancen gut, dass man bei den Kongresswahlen im nächsten Jahr ein paar wichtige Sitze ergattern und vielleicht die Mehrheit holen kann.

Fassen wir zusammen in willkürlicher Reihenfolge: Die Sozialreform von Präsident Bush ist gescheitert. Im Irak ist man keinen Schritt weiter, bei den jüngsten Wahlen zeichnet sich ein Sieg der Schiiten ab, die dem Iran nahe stehen und alles andere als Amerika-freundlich sind. Vize-Präsident Dick Cheneys Stabschef, Scooter Libby, steht wegen Meineids vor Gerich. Der Fraktionssprecher der Republikaner, Tom DeLay, wegen Geldwäsche. Gegen Bushs heimliches Gehirn, Karl Rove, wird ermittelt. Gegen diverse republikanische Lobbyisten auch, und auch gegen Bill Frist, eine der mächtigsten Stimmen in der Partei.

Damit nicht genug: Der Hurrikan Katrina hat nicht nur die halbe Golfküste verwüstet, sondern auch soziale Missstände in Amerika aufgedeckt und das mangelnde Interesse der Regierung, dem unterpriviligierten Teil der Bevölkerung zu helfen. Bushs Nominierung seiner persönlichen Anwältin für den Supreme Court brachte die Basis der Partei in Aufruhr. Seine zweite Wahl, Sam Alito, gerät wegen früherer Äußerungen gegen das Abtreibungsverbot immer mehr unter Beschuss. Bush selbst wird von allen Seiten wegen seines Lauschangriffs kritisiert. Die CIA darf nach breitem Protest im Kongress Gefangene nicht foltern, obwohl Bush und Cheney dafür waren. In Alaskas Naturschutzgebiet darf weiterhin nicht gebohrt werden. Bushs Patriot Act wurde am Donnerstag nur um einen Monat verlängern und dürfte im Januar auseinandergenommen werden.

Da ist es für Bush nur allzu bitter, dass er jetzt nicht einmal in bezug auf Weihnachten selbst in Ruhe gelassen wird. Denn selbst seine Festtagswünsche kamen bei der Partei nicht an. Auf der offiziellen Karte des Weißen Hauses heißt es statt „Frohe Weihnachten“ nämlich in politischer Neutralität „Frohe Festtage“ – und damit stolpert Bush mitten in die Diskussion um christliche Werte, die Bindung zwischen Religion und Politik und verliert obendrein wieder ein Stück seiner Glaubwürdigkeit als Christenmensch.

Frohe Weihnachten, Mr. President.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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