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Alt 18-11-2005, 19:36   #369
Starlight
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Der Ölpreis fällt… aber nicht für immer

Quartalzahlen hin, Milliarden-Deals her… wenn an der Wall Street eines für Kauflaune sorgt, dann ist es der weiter sinkende Ölpreis. Der notiert mittlerweile unter 56 Dollar pro Fass, und die Horror-Szenarien von mehr als 100 Dollar pro Fass scheinen vergessen. Doch ist die Gefahr keineswegs gebannt, wie manche Rohstoff-Experten warnen.

„Ein Ölpreis von 100 Dollar pro Fass war nie ein kurzfristiges Szenario“, erklärt Jason Schenker, der Rohstoff-Experte von Wacovia. Ein so drastischer Preisanstieg sei vielmehr eine langfristige Gefahr, die dem Markt vor allem dann drohen dürfte, wenn unvorhersehbare Katastrophen die Öl-Versorgung gefährden und eine Knappheit droht.

Solche Katastrophen sind nicht vom Tisch. Sicher, Katrina und Rita liegen nun hinter dem Markt, wenngleich ein Großteil der Bohrtürme im Golf von Mexiko noch immer nicht in Betrieb ist und zahlreiche Raffinerien von hundertprozentiger Kapazitätsauslastung weit entfernt sind. Doch ist zweifelsfrei klar, dass der nächste – oder der übernächste – Sommer weitere Hurrikans bringen wird. Auch dürfte sich die geopolitische Lage auf absehbare Zeit nicht derart stabilisieren, als dass plötzliche Liefer-Ausfälle und rapide Preisanstiege auszuschließen seien.

Überhaupt ist die geopolitische Lage das Hauptproblem für den Öl-Markt. Von den global nachgewiesenen Reserven liegen nun einmal nur 3 Prozent in den USA. Die 31 Milliarden Fass, auf die Uncle Sam also selbständig zurückgreifen könnte – und die den Öl-Bedarf der Amerikaner nie und nimmer decken könnten – sind bei der aktuellen Förderrate in 11 Jahren ausgebeutet.

Danach – also vorraussichtlich ab 2016 – werden die USA noch mehr von Öl-Importen abhängig sein als bisher. Der größte Teil der Importe wird weiterhin aus Saudi-Arabien kommen, wo 263 Milliarden Fass und damit 23 Prozent der weltweiten Reserven lagern. Weitere 30 Prozent lagern in Irak, Iran und den Vereinigten Arabischen Emirate. Kuwait dazugenommen lagern fast zwei Drittel der weltweiten Öl-Vorräte im Nahen Osten, der politisch alles andere als stabil und zuverlässig ist.

Dass sich das übrige Drittel der Reserven auf ebenso instabile Länder wie Venezuela, Russland, Nigeria und China verteilt, macht die Lage nicht besser.

Instabilität in einem dieser Länder – ein Krieg zum Beispiel, nationale Unruhen oder Streiks – würden das globale Öl-Angebot, von dem die USA ein gutes Viertel in Anspruch nimmt, sofort verknappen. Ein Engpass wiederum würde die Preise steigen lassen.

Und: Selbst ohne jede Krise könnten die Öl-Importe bald teurer werden. Denn wenn die USA ihre eigenen Reserven aufgebraucht hat, steigt automatisch die Preiskraft der Opec und anderer produzierender Staaten. Die werden den Preis indes nicht aus purer Nächstenliebe auf einem niedrigen Niveau halten.

Dass der Ölpreis seinen Höchstpreis von 71 Dollar pro Fass nach Katrina und Rita wieder verlassen hat und mittlerweile fast 25 Prozent niedriger handelt, ist schön und gut. Die 100 Dollar oder das Gipfel-Szenario von 105 Dollar, vor dem Goldman Sachs vor drei Monaten gewarnt hat, sind aber nicht vom Tisch.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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