Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 16-11-2005, 21:11   #368
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
Die Lüge der Öl-Bosse

Nicht dass die Öl-Konzerne je zu den beliebten Firmen in Amerika gehört hätten. Doch nachdem die Washington Post ein Dokument aufgedeckt hat, dass die größten Unternehmen der Branche einer dreisten Lüge überführt, verlieren diese weiter Punkte. Auch das Weiße Haus gerät unter Druck, vor allem Vize-Präsident Dick Cheney.

Dabei ist keineswegs überraschend, was die Washington Post da aufgedeckt hat. Ein Dokument aus dem Weißen Haus soll belegen, dass die großen Konzerne an der „Energy Task Force“ beteiligt waren, einer recht geheimnisvollen Arbeitsgruppe, die unter der Leitung von Dick Cheney im Jahr 2001 die Grundlagen für die künftige Energiepolitik der USA festlegen sollte – und deren Empfehlungen das Gerüst zum jüngst verabschiedeten Energiegesetz gebildet hatten.

Lange war der Verdacht gehegt worden, dass sich Cheney und seine Task Force in erster Linie auf Empfehlungen aus der Industrie stützen würden, die sowohl dem Ex-Halliburton-Chef als auch dem Präsidenten selbst sehr nahesteht und zu den größten Wahlkampfspendern gehört. Bush und Cheney hingegen traten erfolgreich dafür ein, dass die Namen der an der Task Force beteiligten Experten geheim gehalten würden. Offiziell klar war lediglich, dass keine Umweltschutzgruppen gehört wurden. Eine davon, der Sierra Club, und die Wächterorganisation Judicial Watch hatten später auf Einsicht in Dokumente geklagt – ohne Erfolg.

Die anhaltenden Verdächtigungen gegen die Öl-Branche – die im neuen Energiegesetz als der große Gewinner wegkommt, während Konzepte zur Förderung alternativer Energien gering ausfallen und Ideen zum Energiesparen gänzlich fehlen – haben erst vor einer Woche dazu geführt, dass das Thema vor dem Kongress erneut zur Sprache kam. In einer Anhörung der Bosse der fünf größten Energiekonzerne fragte der demokratische Abgeordnete Frank Lautenberg aus New Jersey die Anwesenden explizit: „War Ihr Unternehmen oder waren Vertreter Ihres Unternehmens an Vize-Präsident Cheneys Energy Task Force beteiligt?“

Die Vertreter der Konzerne beantworteten die Frage der Reihe nach: Ein klares „Nein“ gab es von ExxonMobil-Chef Lee Raymond, von Chevron-Chairman David O’Reilly und von James Mulva, dem Chef von ConocoPhilips. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, sagte Ross Pillari, der seinen Posten als US-Chef von BP erst im August 2001 antrat, und auch der US-Chef von Shell Oil, John Hofmeister, erklärte: „Meines Wissens nicht.“

Während Chevron in dem jetzt aufgetauchten Dokument nicht genannt wird, kann sich auch ConocoPhilips-Chef Mulva rechtfertigen. Er war vor dem Merger mit Conoco im Jahre 2002 CEO von Philips und mit diesem Unternehmen an der Task Force tatsächlich nicht beteiligt. Für Conoco wiederum war zum fraglichen Zeitpunkt Alan Huffman zuständig, der Gespräche mit Cheneys Leuten zugibt.

Die anderen Konzerne sind aber in Erklärungsnot, allen voran ExxonMobil. An dem klaren „Nein“ von CEO Lee Raymond hält man fest. Und in einem Telefon-Interview mit der Washington Post erklärte der frühere Exxon-Vize James Rouse, ein Treffen habe nie stattgefunden. Rouse selbst ist jedoch in dem offiziellen Dokument aus dem Weißen Haus genannt, demzufoge er sich am 14. Februar 2001 mit Mitarbeitern der Task Force getroffen haben soll.

Laut dem Dokument hat die Task Force am 21. März Archie Dunham von Conoco gehört und am 12. April den geständigen Huffman gemeinsam mit zwei Managern des Branchenverbandes der Öl- und Gas-Produzenten. Für den 22. März ist ein Treffen mit BP-Manager Bob Malone notiert, und am 17. April scheint man sich mit Sir Mark Moody-Stuart und Steven Miller, den Köpfen von Shell Oil, getroffen zu haben.

Senator Lautenberg hat sich jetzt an das Justizministerium gewandt und bittet um Aufklärung. „Das Weiße Haus bemüht sich über das normale Maß hinaus, seine Treffen geheim zu halten, und jetzt scheinen auch noch die Öl-Bosse den Kongress zu belügen“, zürnt er. Aus dem Weißen Haus kommt zunächst eine erwartungsgemäß arrogante Antwort. Es gebe ein verfassungsmäßiges Recht für den Präsidenten und den Vize-Präsidenten, sich Informationen vertraulich zu besorgen, kommentiert Lea Anne McBride, eine Sprecherin von Dick Cheney.

Ein Verfassungsrecht den Kongress zu belügen gibt es hingegen nicht, und so könnten die Öl-Bosse in Schwierigkeiten kommen. Dabei könnten ihnen die guten Beziehungen zum republikanischen Senator Ted Stevens aus Alaska noch nutzen. Als Vorsitzender des Ausschusses hatte der sich nämlich in der vergangenen Woche strikt dagegen verwahrt, die fünf Vorgeladenen unter Eid zu nehmen. Sie seien gesetzlich ohnehin verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, rechtfertigte der Chairman seine Haltung.

Das stimmt, und deswegen würden die Top-Manager wohl auch nicht straffrei ausgehen, wenn ihnen eine Falschaussage nachgewiesen werden kann. Wenngleich Meineid nicht zur Debatte steht, sieht die Verfassung Geldstrafen und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor für den Fall, dass jemand gegenüber dem Kongress „sachlich falsche, erfundene oder betrügerische Aussagen“ macht.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten