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Alt 15-11-2005, 18:09   #367
Starlight
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Kritische Fragen an Ben Bernanke

Dass Ben Bernanke der nächste Chef der US-Notenbank wird, ist für die Wall Street eigentlich keine Frage mehr. Vom Präsidenten nominiert und mit viel Erfahrung in der Zinspolitik gilt Bernanke als fast unangreifbar. Doch muss er sich am Dienstag im Finanzausschuss einem anstrengenden Verhör mit kritischen Fragen stellen.

Vor allem ein Punkt dürfte Bernanke dabei Schwierigkeiten machen: sein letzter – und aktueller – Posten. Schon vor anderthalb Jahren waren nicht alle Insider begeistert, als George W. Bush den damaligen Greenspan-Vize zum obersten Wirtschaftsberater im Weißen Haus machte. Der angesehene Theoretiker und Zinspolitiker Bernanke war damit plötzlich ein enger Vertrauer des Präsidenten, seine bis dato unangefochtene politische Neutralität schien dahin.

Vor allem die demokratischen Senatoren im Finanzausschuss werden Bernanke daher näher auf den Zahn fühlen. Wie sehr, wollen sie von ihm wissen, solle sich die Notenbank in die Finanzpolitik der Regierung einmischen. Die theoretisch richtige Antwort wäre: gar nicht. Denn die Fiskalpolitik fällt unter die Kompetenz von Weißem Haus und Kongress. Die Notenbank hat damit verfassungsgemäß nichts zu tun.

Doch mischte sich schon Alan Greenspan regelmäßig in aktuelle politische Debatten ein – zuletzt sehr zum Ärger der Demokraten. So unterstützte der noch amtierende Fed-Chef lautstark die Steuersenkungen von George W. Bush. Zunächst mit dem Argument, die USA laufe Gefahr, zu hohe Haushaltsüberschüsse anzuhäufen. Später mit dem Argument, weitere Steuersenkungen sorgten für Wachstum. Letzteres mag sein, ist aber nur eine Seite der Medaille. Auf der anderern Seite stehen ein Rekord-Defizit im Haushalt und die immer tiefere Kluft zwischen John und Jane Doe und den oberen Zehntausend, deren Steuerbelastung stärker sinkt als die der Unter- und Mittelschicht.

Bernankes Sicht der Dinge ist indes auch vor der Anhörung am Dienstag bekannt: Bereits vor zwei Wochen sprach er sich – wenn auch vorsichtig – für die Steuersenkungen aus, die maßgeblich zum Wirtschaftswachstum im Lande beitrügen.

Wie gut Bernanke mit politischen Fragen umzugehen weiß, wird aber nur geringe Auswirkungen auf seine Berufung an die Fed-Spitze haben. Eigentlich hängt davon nur ab, mit welcher Mehrheit Republikaner und Demokraten hinter dem Kandidaten stehen werden.

Der Markt wird folglich andere Details beobachten. Im Mittelpunkt des Interesses steht natürlich die Frage nach der weiteren Zinspolitik. Doch ist vorab fest damit zu rechnen, dass die Zinsanhebungen, die den Leisatz bislang in zwölf Schritten von 1,0 auf 4,0 Prozent haben steigen lassen, weiter gehen werden. Das ist schon deshalb klar, weil Bernanke bereits erklärt hat, dass er nach der Ära Greenspan zunächst für Kontinuität und nicht etwa für einen drastischen Richtungswechsel sorgen wolle.

Langfristig aber könnte die Fed durchaus neue Wege gehen, und auch das dürfte die Wall Street am Dienstag interessieren. So dürfte sich Bernanke erneut für die Einrichtung eines Inflationszieles aussprechen. Ein solches, so die Meinung des designierten Fed-Chefs, werde die Zinspolitik transparenter und die Märkte effizienter machen. Immerhin werden die Inflationsdaten regelmäßig veröffentlich und würden einfache Schlüsse zulassen: Steigt die Inflation über den bekannten Zielwert, gäbe es Zinsanhebungen. Sinkt die Inflation unter den Zielwert, würden die Zinsen gesenkt.

Dass ein solches System funktioniert, zeigt die Politik anderer Notenbanken: Die EZB, die Bank of England und die Zentralbanken von Kanada, Australien und Neuseeland arbeiten längst nach dem Schema.

Kritiker in den USA fürchten jedoch, dass die Zinspolitik mit einem Inflationsziel zu mechanisch werde und die Fed nicht mehr flexibel auf Krisen reagieren könne. Dem widerspricht Bernanke, der sich das System einer „gebundenen Flexibilität“ wünscht. Danach wäre die Fed durchaus an ihr Inflationsziel gebunden, an dem auch neben zurückliegenden Daten vor allem auch Prognosen gemessen würden, hätte aber die Möglichkeit, bei kurzfristigen Engpässen über oder unter das Ziel hinaus zu schießen.

Andere Kritiker werfen Bernanke vor, dass die Fed vor lauter Inflations-Hörigkeit ihr zweites Ziel vernachlässigen könne: den Arbeitsmarkt zu stärken. Auch dem widerspricht Bernanke – unterstützt übrigens von Notenbankern wie Greenspan und Paul Volcker. Schon die hatten in der Preisstabilität nämlich die wichtigste Vorraussetzung für einen stabilen Arbeitsmarkt gesehen. Zur Verteidigung seines Kurses kann sich Bernanke also auf starke Verbündete berufen.

Doch wird sich der designierte Fed-Chef vor der Befragung in Washington ohnehin keine zu großen Sorgen machen: Denn erstens hat Bernanke schon zwei solcher Termine hinter sich – vor seiner Ernennung zum Fed-Mitglied 2002 und vor seinem Einzug ins Weiße Haus 2004 –, und zum anderen steht seine Berufung ohnehin beinahe fest. Trotz eventueller politischer Fragen von demokratischer Seite, auf die Bernanke sicherlich vorbereitet sein wird.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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