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Alt 31-10-2005, 21:27   #354
Starlight
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„Case closed“: Abschied von Time Warner

Eine ganze Reihe von Übernahmen macht am Montag an der Wall Street Schlagzeilen, doch eine Personalie von der „Mutter aller mißratenden Merger“ ist Thema Nummer Eins auf dem Parkett: Steve Case, der Ex-Chef von AOL, scheidet aus dem Aufsichtsrat von Time Warner aus – kaum einer wusste, dass er da noch drin saß.

Man kann sich kaum vorstellen, was Time-Warner-CEO Dick Parsons empfunden haben muss, als er am Wochenende das Abschiedszeugnis für seinen scheidenden Aufsichtsrat geschrieben hat. „Im Namen des Vorstands und Managements von Time Warner danke ich Steve Case für seinen jahrelangen hervorragenden Dienst an unserer Firma“, brachte er zu Papier – und dabei werden ihm einige Zahlen durch den Kopf gegangen sein.

Vor allem die 200 Milliarden wird Parsons im Kopf herumgeschwirrt sein – so viel (in Dollar) ist Time Warner seit der Fusion mit AOL an Marktkapitalisierung verloren gegangen. Mit 290 Milliarden Dollar war der Merger beziffert worden, nach massiven Aktienverkäufen und Kurseinbrüchen, nach Milliardenabschreibungen und Investorenklagen wog der damals als AOL Time Warner bekannte Konzern im Januar 2003 nur noch 47 Milliarden. Nachdem der Online-Partner längst aus dem Namen verschwunden ist und das Tickerkürzel an der NYSE von AOL zu TWX gewechselt wurde, beträgt die Marktkapitalisierung des Medienriesen heute wieder 84,5 Milliarden Dollar – eben knappe 200 Milliarden Dollar weniger als damals, als Case und der damalige Time-Warner-Chef Gerald Levin den heißesten Merger der Geschichte zu verkünden glaubten.

Was die Welt heute über die Übernahme denkt, ist klar. Das Projekt hat einige Karrieren zerstört und die Altersvorsorge unzähliger Spekulanten zerstört. Dennoch stimmen nicht alle darin überein, dass Time Warner den Onlinedienst AOL am besten wieder abschieben sollte – Case zuletzt.

„Der Merger war für AOL genau das richtige, und er war für Time Warner genau das richtige“, diktierte er kürzlich einem Reporter von Forbes. Für Time Warner sei es damals vor allem darum gegangen, den Einstieg in das Internet-Geschäft zu finden, denn da habe man die Zukunft gesehen – zu recht, wie auch heute keiner bezweifelt. So war es wohl auch nicht die Idee hinter dem AOL-Time-Warner-Merger, sondern dessen schlechte Ausführung, die den Konzern Milliarden kostete.

Im Time-Warner-Management scheint man das heute ähnlich zu sehen. Immerhin: Von zahlreichen Übernahmeangeboten, die Dick Parsons bereits für AOL bekommen hat, hat er kein einziges angenommen. Immer wieder dringen Gerüchte auf das Parkett, nach denen Time Warner den Online-Arm ausgliedern oder verkaufen wollle – geschehen ist das bisher nicht, wahrscheinlich ist es in nächster Zeit auch nicht.

Und wenn Time Warner doch einmal eine Zukunft ohnen AOL angehen sollte, dann wird Steve Case wohl dazu gehört werden. Nicht nur, dass Dick Parsons ihm in seinem Abschiedsbrief weitere Zusammenarbeit gelobt hat – das ist oft nicht mehr als eine höfliche Floskel. Doch ist Steve Case mit einem Aktienanteil von 0,3 Prozent nach wie vor einer der größten Time-Warner-Aktionäre. Sein Anteil ist halb so groß wie der von CNN-Gründer Ted Turner, der in der Firma allerdings seit Jahren keine aktive Rolle mehr spielt.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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