Wirbel(sturm) um Wal-Mart
Die Hurrikans an der Golfküste haben nicht zahlreiche Menschenleben gekostet und Milliardenschäden angerichtet, sie scheinen auch manchem das Gehirn gründlich durchgepustet zu haben. Lee Scott, der CEO von Wal-Mart, will beispielsweise in der Krise erkannt haben, dass sein Unternehmen ein besserer Partner sein muss. Sein neues Konzept ist allerdings nicht unumstritten.
Es gibt durchaus eindrucksvolle Geschichten, die sich um Wal-Mart während und nach dem verheerenden Wirbelsturm Katrina ranken. So soll eine Filialleiterin in New Orleans den eigenen Laden aufgebrochen haben, um Tausenden Obdachlosen alles mögliche von Schuhen bis zu Toilettenpapier, von Seife bis zu Lebensmitteln (aus den höheren, trockenen Regalen) zuwerfen zu können. „Ich hoffe, das Management hat nichts dagegen“, zitierte CNN die Samariterin – und Wal-Mart hatte nichts dagegen. Angesichts der Katastrophe schrieb man Gewinne für ein paar Tage ab und half den Menschen in Louisianna.
Jetzt soll das Engagement weitergehen. Wal-Mart kündigt in dieser Woche neue Versicherungspläne für die Mitarbeiter an und appelliert an den Kongress, die Mindestlöhne zu erhöhen. Das ist alles schön und gut, doch schlagen die Gegner des weltgrößten Einzelhändlers Alarm. Das ganze Reformpaket des Retail-Multis scheint nämlich nicht mehr zu sein als ein riesiger PR-Gag, mit dem das Management den Ruf des unfairsten Unternehmens der Welt loswerden möchte.
Dass sich Lee Scott gegenüber dem Kongress aus dem Fenster lehnt und eine Erhöhung des seit mehr als zehn Jahren nicht angehobenen Mindestlohnes fordert, sei „einfach lachhaft“, meint Tracy Sefl von der Verbrauchergruppe Wal-Mart Watch. „Das Unternehmen hat eigene Lobbyisten wie Lee Culpepper, die gegen eine Erhöhung des Mindestlohnes kämpfen.“
Auch sonst scheint das Bemühen des Konzerns nicht konsequent zu sein. Denn einerseits könnte Wal-Mart seine Löhne einfach so anheben, wenn man seinen Mitarbeitern plötzlich Gutes tun will. Denn Wal-Mart zahlt vielen seiner 1,3 Millionen Angestellten keinen Pfennig mehr als die vorgeschriebenen 5,15 Dollar pro Stunde, wenngleich das Durchschnittsgehalt beim weltgrößten Einzelhänder 9,68 Dollar beträgt.
Aber es geht Wal-Mart auch nicht darum, seine eigenen Leute besser zu situieren. Vielmehr sorgt man sich um den Kunden aus der Unterschicht. Angesichts hoher Energiepreise spart der nämlich eisern und trägt immer weniger Geld in den Supermarkt. Auf Wal-Mart wirkt sich das stärker aus als auf Konkurrenten wie beispielsweise Target, wo ein hoher Kundenanteil auch aus der Mittel- und Oberschicht stammt.
Nicht besser ist die Wal-Mart-Politik in bezug auf die Krankenversicherung. Man biete ab nächstem Jahr einen „Value Plan“ an, so CEO Scott, unter dem sich Mitarbeiter für 23 Dollar im Monat versichern könnten – ganze 17 Dollar billiger als bisher. Doch der Schein trügt, wie die Kritiker bei WakeUpWalMart.com analysiert haben. Zum einen könnte von den 52 Prozent der Mitarbeiter, die sich für die bisherigen Tarife nicht qualifizieren konnten, auch keiner die Bedingungen für die neuen Tarife erfüllen, meint Chris Kofinis, der auch für die an Wal-Mart laufend scheiternde Gewerkschaft der Lebensmittelhändler tätig ist. Zum anderen sind die Eigenbeteiligungen an Krankenhausaufenthalten, Medikamenten, Arztbesuchen und anderem so hoch, dass der Plan schlicht unrentabel sei.
„Wal-Mart bietet keine verbesserten Versicherungsschutz an“, schimpft Kofinis, „man hat nur den alten Ramsch neu verpackt.“
Das ist nicht von der Hand zu weisen, denn ganz offensichtlich will Wal-Mart bei den Versicherungskosten auch in Zukunft vor allem sparen. Das belegt ein internes Memo, das der New York Times in die Hände gefallen ist und am Mittwoch für Wirbel sorgt. In einem Schreiben an andere Manager schlägt Vorstandsmitglied Susan Chambers nämlich vor, dass das Unternehmen mehr Teilzeit-Arbeiter anstellen solle, um Nebenkosten zu sparen. Man solle ferner Einzahlungen in die Rentenkasse kürzen und mit Fortbildungsangeboten vor allem junge Leute ködern. Gesundheitlich angeschlagene Bewerber hingegen sollen ferngehalten werden. So sollen Tätigkeitsbeschreibungen dahingehend geändert werden, dass jeder Job ein gewisses Maß an körperlicher Fitness voraussetze. Auch der Kassierer müsse hin und wieder auf dem Parkplatz Einkaufswagen einsammeln. In einem Land, das als erste Volkskrankheit Fettsucht anerkennt, hält das einen Großteil der ungewollten Bewerber ab.
An der Wall Street verfolgt man die neue Debatte um Wal-Mart mit Interesse. Die Aktie notierte am Mittwochmittag im Plus – trotz eines sich abzeichnenden Skandals. Denn Kostensenkungen gefallen Anlegern, egal wie sie zustande kommen. Allerdings wird Wal-Mart als langfristige Anlage nicht interessanter. Dem Unternehmen drohen ohnehin massenweise Klagen von diskriminierten Angestellten, mit den neuen Konzepten wird man seine Standpunkt nicht verbessert haben.
Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
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