Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 20-10-2005, 20:34   #346
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
Ein neues Gespenst zu Halloween

Die Amerikaner gruseln sich: Halloween steht vor der Tür. In allen Läden gibt es Monstermasken und Skelett-Kostüme, Freizeitparks laden zum „Schocktoberfest“ in ihre Geisterschlösser, und auch an der Wall Street gehen die Gespenster um. Nicht nur das Inflationsgespenst, wohlgemerkt – manche rechnen mit Schlimmerem.

Das größte Angst-Szenario beschreiben die Experten von Elliott Wave Financial Forecaster, die sich auf technische Marktanalyse nach der allerdings nicht unumstrittenen Elliott-Wellentheorie spezialisieren. Sie rechnen pünktlich zu Halloween mit einem Crash, und liefern einige Gründe für die finstere Prognose.

Auslöser für eine dramatische Abwärtsbewegung, die die Blue Chips „mehrere tausend Punkte“ kosten könnte, soll der Absturz des Dow-Jones-Index unter 10 300 Punkte gewesen sein. Dass sich der Standardindex im Mittwochshandel dreistellig in die Höhe katapultieren konnte, sagt den Chart-Technikern nicht viel. Die Gewinne des Marktes zur Wochenmitte seien nicht besonders breit gewesen, wird der Analyst Richard Russell bei CBS zitiert. Zudem können auch die Bullen nicht von der Hand weisen, dass der Wall Street am Tag nach der Mittwochsrallye überhaupt keine Anschlussgewinne gelingen wollen – obwohl einige Quartalszahlen gar nicht schlecht waren.

So ist – auch nach Betrachtung der Kursbewegungen in den ganzen letzten drei Wochen – ein Abwärtstrend nicht von der Hand zu weisen. Dass dazwischen kleine Gegenbewegungen bullische Stimmung vortäuschen, hält Elliot-Chef Robert Prechter für ganz normal. „Aber missverstehen Sie den breiten Trend nicht“, so Prechter, „es ist ein Bärenmarkt.“

Der beginne gerade seine „dritte Welle“ nach dem Elliott-Schema. Die anhand der jüngsten Inflationsdaten und der Zinsangst geschürte Panik dürfe bald ihren Höhepunkt erreichen und zu einem Handelsmuster führen, dass bärentypisch von immer niedrigeren Tiefständen gekennzeichnet sei. Gold und Silber böten übrigens keinen Schutz, so Prechter. Anleger seien zur Zeit mit Cash am besten beraten.

Direkt zum Ausgang drängen die Anleger an der Wall Street dennoch nicht. Das hat seinen Grund nicht zuletzt in der wackligen Performance der Elliott-Spezialisten. Immerhin hat deren Musterportfolio in den vergangenen zwanzig Jahren einen Verlust von jährlich rund 18 Prozent verbucht – auf diesen Zug will man nicht aufspringen.

Doch warnen Elliott-Befürworter davor, die Theorien ganz zu ignorieren. Zumindest über mittelfristige Perioden hätten die Techniker oft ganz außergewöhnliche Genauigkeit in ihren Vorhersagen bewiesen, meint CBS-Kommentator Peter Brimelow. Dabei habe vor allem Prechter oft recht gehabt, wenn er dem Markt scharfe Trendwenden prophezeit hatte – lediglich bei bestehenden Trends habe er oft den Beginn verschlafen.

So bleibt die Wall Street gespalten gegenüber Prechter und der Elliott-Welle, wie auch allgemein gegenüber anderen technischen Analysen. Vor allem zur Zeit – auf dem Höhepunkt der Ertragssaison – zählt für die breite Masse die fundamentale Analyse. Doch wenngleich diese nicht für einen historischen Börsen-Crash spricht, lässt auch sie nicht gerade großen Optimismus zu. Im Gegenteil: Zahlreiche Dow-Riesen schneiden dieser Tage erschreckend schlecht ab, einige Hightech-Schwergewichte laufen dem Markt hinterher, und selbst der bisherige Kurstreiber Öl bricht ein. Fonds stoßen Werte wie ExxonMobil in großen Mengen ab und flüchten sich in den Einzelhandel, was vor Weihnachten kein schlechter Zug wäre – in normalen Jahren.

Doch sieht die Wall Street kein normales Jahr. Das Wirtschaftswachstum scheint zwar stabil zu sein, doch misst man zu hohe Inflation und Verbraucherverschuldung und rechnet mit einem Einbruch im Konsum. Ein Einbruch an der Börse wäre keine unlogische Folge. Doch der Halloween-Crash in den nächsten Tagen ist zumindest für die überwältigende Mehrheit auf dem Parkett nur ein Schreckgespenst.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten