Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 18-10-2005, 19:55   #344
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 34.578
Die lange Fahrt aus der Krise

Ein Plus von 13 Prozent sieht man selten im Dow, und wenn man es sieht, dann ist Vorsicht geboten. In dieser Woche ist das am Beispiel von General Motors sehr schön zu sehen: Der Automobilriese hatte nach recht drastischen Restrukturierungsmaßnahmen dick zugelegt, einen Tag später ist von den Gewinnen nicht mehr viel übrig.

In Zahlen ausgedrückt ist der Handel der GM-Aktie ernüchternd: Nach der Quartalskonferenz schoss das Dow-notierte Papier von 28 Dollar auf ein Zwei-Wochen-Hoch von 31,50 Dollar. Am Dienstagmittag kostet GM nur noch knapp über 29 Dollar pro Anteilsschein, Tendenz weiter fallen, nicht zuletzt wegen einer Abstufung von Merrill Lynch, die am Morgen die gesamte Branche samt der Zulieferer auf den Pannenstreifen geschoben.

Die gesamte Auto-Branche stehe auf der Kippe, meinen die Analysten, inklusive der Zulieferer. Leider gehe man davon aus, dass sich „dieses Rückgrat der amerikanischen Industrie“ eher zum Schlechten als zum Guten neigen könnte. Obwohl auch die Aktien von Ford auf „Verkaufen“ gesetzt werden, lässt sich Merrill Lynch aus aktuellem Anlass vor allem über GM aus, wo man im Zusammenhang mit der angekündigten Restrukturierung nicht nur vor großen Kostensenkungen stehe, sondern auch vor hohen Ausgaben – immerhin sollen 25 000 Jobs gestrichen werden.

Diese Job-Senkungen sind allerdings nur ein Teil der GM-Revolution, der andere hat an der Wall Street für viel mehr Aufregung gesorgt. Dem Management unter CEO Rick Wagoner ist nun doch eine Einigung mit der mächtigen Automobilgewerkschaft UAW gelungen. Das war höchste Zeit, wie allerdings nicht nur an der Wall Street erkannt wird. Im Gegenteil: Auch wer sonst auf Seiten der Arbeitnehmer steht, gab bei GM meist dem Unternehmen recht, dem seine Mitarbeiter extrem teuer zu stehen kamen.

Vor allem die Beiträge zur Krankenversicherung waren es, die bei GM stets Anlass zur Sorge gegeben hatten. Diese Kosten waren in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen, und dass der Autobauer den Arbeitnehmeranteil erhöhen wollte, war nur verständlich. Denn während der durchschnittliche Arbeiter in den USA einen Eigenanteil von 32 Prozent und der durchschnittliche Angestellte von 27 Prozent trägt, steuerte der durchschnittliche GM-Mitarbeiter nur 7 Prozent bei.

Ein Arbeitgeber-Anteil von 93 Prozent belastete GM umso mehr, als die Kosten im Gesundheitsbereich in den vergangenen Jahren geradezu explodiert sind – unter anderem aufgrund einer verantwortungslos pharmafreundlichen Politik in Washington. Da GM den Firmenanteil gegen den Widerstand der UAW lange nicht senken konnte, hatte man die Margen lange über höhere Automobilpreise zu retten versucht – ohne Erfolg.

Denn dass der durchschnittliche Wagen den US-Verbraucher ganze 26 Wochengehälter kostete, ließ die Marktanteile von GM (und der übrigen amerikanischen Hersteller) bröckeln. Immerhin hatte waren die Lenker in den Siebziger- und Achtzigerjahren daran gewöhnt, ein Auto für 17 Wochengehälter erstehen zu können. Dass die Autopreise schneller stiegen als Löhne, Gehälter und andere Produkte, wurde der Branche vor allem durch das gleichzeitige Auftauchen der asiatischen Konkurrenz zum Verhängnis.

Dass GM die Kosten nun senken will, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob man ihn rechtzeitig geht, ist hingegen die Frage. Die Industrie hat in den vergangenen Jahren ihr einst makelloses Image fast komplett verloren. Der patriotischen Käufer, der vor kurzem noch einen Aufpreis für US-Produkte zahlte, ist nach Skandalgeschichten und angesichts hoher Verbrauchsstatistiken und Benzinpreise längst zu Toyota & Co. gewechselt. Ihn zurückzugewinnen ist die Herausforderung, vor der GM und Ford in den nächsten Quartalen stehen.

Mit der UAW-Einigung ist damit nicht der Krieg, sondern nur die erste Schlacht gewonnen. Die Fahrt aus der Automobilkrise wird lange dauern. Die Wall Street weiß das, und entsprechend hält sich die Kauflust gegenüber der Aktie erneut in Grenzen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten