Tatsaechlich eine demografische Katastrophe?
Von Dr. Bernd Niquet
Es gibt derzeit wohl kein Thema, bei dem eine derartige Kon-
formitaet der Meinungen herrscht wie in Hinsicht auf die
behauptete demografische Katastrophe, auf die wir zusteuern.
Ob die Bayern Meister werden, ob die Zinsen weiter steigen
und uns vielleicht ein Aktiencrash bevorsteht. Ueber alles
gibt es eine Vielfalt der Meinungen. Nur ueber die Demografie
nicht. Wir werden immer aelter und immer weniger. Um Gottes
willen, das kann nicht gut gehen. Da sind sich alle einig.
Ich glaube, dass es in der gesamten juengeren Geschichte kein
Beispiel einer derartigen Verfestigung der Meinungen gegeben
hat wie in diesem Thema. Selbst dem Krieg haben noch viele
Leute eine positive Seite abgewonnen. Doch bei der Demografie
kann es nur eine Katastrophe geben, das scheint bereits heute
festzustehen.
Wie kommt man eigentlich darauf? Weil man die Wirklichkeit
nur mit einem Auge sieht, sich dessen jedoch nicht bewusst
ist und folglich das Gesehene fuer das Ganze haelt. Eines ist
sicherlich gewiss. Fuer das, was uns in den naechsten Jahr-
zehnten bevorsteht, gibt es kein historisches Beispiel. Wir
betreten voelliges Neuland. So etwas wie den Baby-Boom der
Nachkriegszeit hat es noch niemals gegeben. Ebenso noch nie-
mals einen volumenmaessig derart ausgepraegten Rueckgang der
Bevoelkerung, wie er sich jetzt abzeichnet.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist:
Es hat auch noch niemals in der Geschichte eine derartige
Hoehe von angesammeltem Vermoegen gegeben. Und in diese
divergierenden Linien hinein gesellen sich zwei weitere ent-
scheidende auseinanderstrebende Sichtweisen. Einerseits: Der
Bevoelkerungsschwund fuehrt dazu, dass demnaechst die Versor-
gung der vielen Alten durch die wenigen Jungen nach den jet-
zigen Regeln nicht mehr gewaehrleistet ist. In diesem Sinne
ist die Bevoelkerungsentwicklung also tatsaechlich eine Kata-
strophe.
Andererseits gibt es jedoch einen heftigen Produktivitaets-
fortschritt und wir befinden uns mitten im Eintritt in das
postindustrielle Zeitalter. Beides bedeutet, dass uns sukzes-
sive die Arbeit ausgeht. Erste Vorlaeufer sind bereits zu
merken. Vieles, was bisher der Mensch gemacht hat, laeuft
bereits ueber Computer und Maschinen. Und dieser Trend wird
sich weiter beschleunigen. Bald werden wir nur noch Bruch-
teile der Arbeit - und damit auch der Beschaeftigten - benoe-
tigen, um sogar einen hoeheren Lebensstandard zu erreichen
als bisher. In diesem Sinne ist unsere Bevoelkerungsentwick-
lung also ein regelrechter Segen! Denn wohin ansonsten mit
den ganzen Menschen, wenn man keine Arbeit hat fuer sie?
Es sieht also alles danach aus, als ob es in jedem Fall einen
Ueberhang geben wird. Laender mitwachsender Bevoelkerung wer-
den die Jungen ausserhalb des Erwerbslebens alimentieren
muessen. Und schrumpfende Bevoelkerungen dasselbe mit den
Alten. Betrachtet man die Dinge einmal von dieser Warte aus,
haben wir es vielleicht gar nicht mit einer Katastrophe, son-
dern vielmehr mit einem Glueckslos zu tun. Denn sind Massen
an Jugendlichen ohne Arbeit durchzufuettern, dann birgt das
enorme soziale Spannungen. Schaut man hier auf die moslemi-
schen Staaten, kann einem nur das Grauen kommen. Zudem die
Jungen auch noch alle voellig vermoegenslos sind. Dann lieber
Alte, Ruhige und Konservative durchfuettern, die ueberdies
wenigstens zum Teil schon selbst vorgesorgt haben fuer ihr
Alter. Und ihre Vermoegen nicht vererben muessen, sondern
frei verkonsumieren koennen.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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