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Alt 14-10-2005, 20:41   #340
Starlight
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Auf der Suche nach Benzin-Ersatz

Die Inflationsangst der letzten Tage und ein Preissturz bei Öl, das plötzlich wieder näher bei 60 als bei 70 Dollar handelt, haben die Wall Street die Kernfrage der jüngsten Energiekrise vergessen lassen: Was passiert langfristig, wenn die Öl-Nachfrage – u.a. aus China – weiter steigt? Wie hoch klettern die Preise, und was ist dagegen zu tun?

Es ist bitter, dass wenige Wochen nach dem ersten Preisschock das Thema Öl schon wieder zu den kleineren Problemen der US-Konjunktur zu gehören scheint. Denn angesichts von Rekordpreisen von bis zu 3,50 Dollar pro Gallone Sprit hatte bei manchem Verbraucher schon ein Prozess des Umdenkens begonnen, den es jetzt auszunutzen gelte. Immerhin hat auf dem Höhepunkt der Krise sogar die leidenschaftliche Spritschleuder George W. Bush zum Fahrverzicht und Benzinsparen aufgerufen.

Dass die Anregung aus dem Weißen Haus fruchtete, darf bezweifelt werden. Zwar ging die Nachfrage nach Sprit zunächst zurück. Doch liegt das wahrscheinlich daran, dass die Hauptreisezeit für die Amerikaner vorbei ist. Dass plötzlich das halbe Land auf unnötige Trips zur Mall verzichtet, ist jedenfalls nirgends beobachtet worden.

Nun wäre es einerseits schön, wenn sich die Amerikaner ein wenig mehr mit dem Thema Benzinsparen auseinandersetzen würden. Andererseits kann in einem so weitläufigen Land, wo zwischen Wohnhaus, Schule, Arbeits-, Spiel- oder Sportplatz oft dreißig Meilen liegen, nicht so viel eingespart werden wie beispielsweise in Deutschland, wo ein Großteil der Bevölkerung auf einen vergleichsweise gut ausgebauten Nahverkehr zurückgreifen kann.

Umso wichtiger wäre es jetzt, Alternativen zu durchdenken, die zu weniger Öl-Bedarf – und, angesichts des laufenden Krieges im Irak, zu weniger Abhängigkeit von den arabischen Zuliefern – führen würde. Stichworte wie Ethanol und Biodiesel stehen zwar immer wieder im Raum, werden aber an der Wall Street und in Washington kaum diskutiert. Dabei könnte der Umstieg auf alternative Energien in den USA schneller und mit weniger Aufwand vorangetrieben werden als in anderen Ländern. Das hat einen einfachen Grund: Die USA haben eine aktive Landwirtschaft, die man nutzen könnte.

So sind die USA weltweit der größte Erzeuger (und Exporteur) von Mais, dem Grundmittel zur Erzeugung von Ethanol. Das wird zwar bereits von allen großen Raffinerien verwendet und dem Benzin beigemischt, allerdings nur in minimalen Verhältnissen. Dabei könnte ein gewöhnlicher Auto-Motor einen Ethanol-Anteil von bis zu 20 Prozent verkraften, wie Experten berichten.

Wirschaftlich würde die Erzeugung von mehr Ethanol durchaus Sinn machen, auch für die Landwirtschaft. Die leidet seit langem unter geringen Produktpreisen. Der Preis für Mais ist beispielsweise in den letzten drei Jahren gar nicht gestiegen und kostet noch immer 3 Dollar pro Büschel, der offiziellen Mais-Einheit an der Warenterminbörse von Cicago.

„Mais ist billig, Öl ist teuer“, fasst Robert Fuhrmann zusammen, ein Rohstoffanalyst beim Onlinebroker MyFuturesOnline.com. „Es ist also absolut sinnvoll, mehr Ethanol zu produzieren. Ähnlich verhält es sich mit Biodiesel auf der Basis von Sojabohnen, einem weiteren Überflussprodukt in der US-Landwirtschaft. Wie auch Ethanol-Zusätze hat Biodiesel seinen Markteinstieg längst hinter sich. Im vergangenen Jahr wurden nach Informationen des Branchenverbandes 25 Millionen Gallonen verkauft – Tendenz steigend.

Dass sich die alternativen Energien nicht schneller verbreiten, hat dennoch einen guten Grund: Die Kosten für Ethanol und Biodiesel sind – noch – immens. Biodiesel kostet zur Zeit 3,24 Dollar pro Gallone, was selbst gemessen an den aktuellen Rekord-Benzinpreisen unerschwinglich hoch erscheint. Wie sich die Preise entwickeln werden, ist selbst für Branchenanalysten schwer abzuschätzen. Denn die wirklichen Hertsellungskosten sind unbekannt. „Hinter die wahren Kosten von Biodiesel und Ethanol zu kommen ist ungefähr so schwierig, wie das Rätsel der Sphinx zu lösen oder die Formel für Coca-Cola zu finden“, meint Analyst Fuhrmann.

Das heißt nicht, dass die Ersatzstoffe keine Zukunft hätten. Immerhin sind auch die Kosten von Rohöl langfristig nicht einzuschätzen. Vor dem Hintergrund eines gewaltigen Wirtschaftswachstum in China und dem immer steigenden US-Verbrauch hat mancher Analyst schon seit langen einen Preis von 100 Dollar pro Fass im Auge, womit auch herkömmliches Benzin teurer werden würde.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc..
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