Was hat man uns nur erzaehlt?
Von Dr. Bernd Niquet
Die Lohnnebenkosten sind ein Uebel. Ein ganzes Volk wuerde
sie am liebsten in den Boden stampfen. Es gibt wohl niemanden
mehr, der nicht fuer eine Senkung der Lohnnebenkosten ein-
treten wuerde. Die Politik sowieso, die Arbeitgeber natuer-
lich auch, denn eine Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet
fuer sie geringere Lohnzahlungen. Und die Arbeitnehmer sind
ebenfalls dafuer, schliesslich bleibt bei einer Senkung der
Lohnnebenkosten bei gleichbleibendem Bruttolohn netto mehr in
der Kasse. Also weg damit! Zumindest: deutlich herunter!
Man ist fast an die Zeiten vor 1989 erinnert. "Die Mauer muss
weg!" hiess es damals - und sicherlich mit einigem Recht.
Doch lange halten diese Parallelitaeten natuerlich nicht.
Wenn ich mir die vielen Mail anschaue, die ich auf meine
Kolumnen der letzten Wochen bekommen habe, wird mir die
Tragik von Angela Merkel noch deutlicher als vorher. Wie
leicht haette sie als leuchtende Wahlsiegerin dastehen
koennen, wenn sie einfach nur gesagt haette: Die Lohnneben-
kosten muessen herunter. Und nichts von Mehrwertsteuererhoe-
hung und sonstigem. Die Mauer muss weg! Damit konnte man
schon immer Wahlen gewinnen - und heute sicherlich genauso.
Der Rest sind doch oekonomische Zusammenhaenge - und wer ver-
steht denn schon davon etwas? Der durchschnittliche Waehler
ganz gewiss nicht. Wer also die Chance haben will, ehrliche
Politik zu machen, muss vorher betruegen. Wie das geht, hat
Schroeder zwei Mal erfolgreich vorexerziert.
Doch weg jetzt von der Politik und hin zum Oekonomischen. Die
Geschichte mit den Lohnnebenkosten ist ein Nullsummenspiel.
Und ein Spiel, bei dem es ausschliesslich um Elastizitaeten
geht. Was bringt der Gesamtwirtschaft mehr: zwei Prozent mehr
Gewinn oder zwei Prozent mehr Konsum? Die wichtigsten Posi-
tionen der Lohnnebenkosten sind die Versicherungsbeitraege
der Arbeitnehmer fuer Krankheit und Arbeitslosigkeit, die
Leistungen fuer die Rentenzahlungen an die jetzigen Alten und
die Lohnzahlungen im Krankheits- und Urlaubsfall.
Wenn die Lohnnebenkosten reduziert werden, dann muss irgend
jemand das bezahlen. Es gibt mehrere Moeglichkeiten, wobei
eigentlich nur eine Gruppe aus dem Schneider ist, naemlich
die Unternehmen. Denn eine Finanzierung der Senkung der Lohn-
nebenkosten im Unternehmerlager waere zwar theoretisch
moeglich, jedoch reichlich widersinnig. Die Senkung der Lohn-
nebenkosten ist also so etwas wie ein Lastenausgleich einer
ganzen Gesellschaft zu Gunsten der Arbeitgeber. Ein ganzes
Land sammelt fuer seine Athleten, damit sie dieses bei den
internationalen Wettkaempfen gut vertreten.
Und wen kann man hier am trefflichsten zur Kasse bitten? Die
Steuerzahler, die Arbeitnehmer und die Konsumenten. Eine
Steuererhoehung faellt weg, denn hiermit wuerde man auch die
Selbstaendigen und die Personengesellschaften treffen, die
doch ebenfalls als Athleten auftreten. Bleiben mithin die
Arbeitnehmer und die Konsumenten. Der Mehrwertsteuerfall ist
der Merkelfall. Doch die anderen Politiker sind sicherlich
kreativ genug, sich noch eine Vielzahl anderer Varianten ein-
fallen zu lassen.
Angesichts der Kombination von Rekordgewinnen mit totaler
Konsumflaute sind das jedoch alles Holzwege. Lassen wir doch
die Lohnnebenkosten so wie sie sind! Auch eine Senkung von
zwei Prozent macht den legalen deutschen Arbeitnehmer nicht
konkurrenzfaehig gegenueber dem auslaendischen Schwarzarbei-
ter. Investieren wir lieber mehr in Ueberpruefungen! Denn wir
muessen immer bedenken: Zwei Prozent zu Gunsten der Unterneh-
men sind zwei Prozent zu Lasten des Konsums. Und das bei der
gegenwaertigen Situation. Das duerfte nicht einmal ein weit-
sichtiger Unternehmer so recht befuerworten.
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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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