Der Fehler mit der Wettbewerbsfaehigkeit
Von Dr. Bernd Niquet
Wir muessen unsere Kosten senken, um international wettbe-
werbsfaehig zu sein. Das troetet auch nach dem Wahlkampf noch
in unseren Ohren. Die Indoktrination laeuft auf Hochtouren.
"Wir muessen immer um so viel besser sein wie wir teurer sind
als die anderen", hat Angela Merkel gesagt. Eine derbere
Fehleinschaetzung kann man kaum von sich geben. Sie ist zu
Recht nicht eindeutig zur Kanzlerin gewaehlt worden.
Wie komme ich zu dieser auf den ersten Blick kuehnen Behaup-
tung? Warum liegt die herrschende Orthodoxie hier so falsch?
Auf dem Weltmarkt konkurrieren wir mit anderen Nationen nur
in Hinsicht auf weltmarktfaehige Produkte. Wir sind jedoch
eine grosse Volkswirtschaft, in der der ueberwiegende Teil
aller Produkte und Dienstleistungen im Inland abgesetzt wird.
Und hier gilt das internationale Wettbewerbs- oder Kosten-
argument eben nicht, nein, hier gilt fast das Gegenteil da-
von. Denn Kostensenkungen von Produkten und Dienstleistungen,
die im Inland hergestellt und auch im Inland abgesetzt wer-
den, entsprechen gleichzeitig immer Einkommensreduktionen un-
serer Buerger. Und das fuehrt auf keinen guten Weg.
Das ausschliessliche Wettbewerbsargument fuehrt in letzter
Konsequenz, wenn wir die Dinge gedanklich einmal auf die
Spitze treiben, dazu, dass unsere Binnenwirtschaft ruiniert
wird, damit unsere Gueter schliesslich auf dem Weltmarkt gut
abgesetzt werden koennen. Dieser Weg ist jedoch kein erfolg-
versprechender Weg! Kann das unser Ziel sein? Wohl eher kaum.
Wir muessen vielmehr eine schwierige Gratwanderung beschrei-
ten, aussenwirtschaftlich erfolgreich zu sein und uns binnen-
wirtschaftlich nicht zu ruinieren. Doch Gratwanderungen ent-
ziehen sich schon per Definition einer Patentloesung à la
Merkel.
Natuerlich "bedroht" uns auch in der Binnenwirtschaft stets
das Ausland. Die Waesche der Berliner Hotels wird in Polen
gewaschen, und vom Broetchenbacken alleine koennen wir nicht
leben. Es ist jedoch stets ein Trade-off - und mit den wirk-
lichen Billigproduzenten koennen wir sowieso nicht mithalten.
Hohes Augenmerk muss daher stets die Binnenwirtschaft haben.
Und dass wir es hier derzeit nicht mit Angebotsproblemen,
sondern eher mit einer Schwaechung der Nachfrage zu tun ha-
ben, ist wohl offensichtlich. Also: Kein Dogma, sondern eher
Pragmatismus! Machen doch die anderen und die weiseren Natio-
nen auch!
Mindestens ebenso gravierend - jedoch weitgehend in seinen
Folgen unbeachtet - scheint mir hingegen der Ausverkauf zu
sein, den unser Land gegenwaertig hinsichtlich seiner Assets
erlebt. Die besten mittelstaendischen Unternehmen gehen an
auslaendische Fonds - und unsere heimischen Kapitalsammel-
stellen interessieren sich nicht einmal dafuer. Und die
Kommunen verkaufen die Wohnungen schneller als die Baecker
die Semmel. Vielleicht leben wir daher bald in einem Land,
das in einem ganz anderen Sinne ueberfremdet ist als wir uns
das bisher gemeinhin stets so vorgestellt haben.
++++++
Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
|