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Alt 14-09-2005, 20:16   #312
Starlight
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Bilaterale Gespräche ohne Folgen

Dass George W. Bush von den Vereinten Nationen nicht viel hält, ist kein Geheimnis.

Dass viele Protestanten vor dem UN-Hauptquartier in New York nicht viel von Bush halten, auch nicht. Dennoch sprach der US-Präsident am Dienstag zur Vollversammlung, und nebenbei nutzte er den Gipfel zu bilateralen Gesprächen.

Für manche Randbegegnung während des Gipfels interessiert sich auch die Wall Street. Zum Beispiel für ein Treffen, das Bush mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao hatte. Die US-chinesischen Beziehungen stehen dauernd im Mittelpunkt des Interesses für alle, die an langfristigen Konjunkturprognosen interessiert sind. Denn für die ist das US-Handelsbilanzdefizit wichtig, das mit keinem Land so groß ist und so schnell steigt wie mit China.

Erst im Juli musste das Handelsministerium in Washington einen neuen Rekordwert verkünden: Das Defizit war allein auf Monatssicht auf 17,7 Milliarden Dollar gestiegen. In 2004 hatte das Defizit 162 Milliarden Dollar betragen, im Jahr zuvor 125 Milliarden Dollar – allein das entsprach einem Anstieg um fast 30 Prozent, woran einerseits die explodierenden Textil-Importe schuld sind, im Grunde aber vor allem der Hunger amerikanischer Konsumenten nach immer mehr Ware, die so billig wie in China im eigenen Land nie hergestellt werden könnte.

China will nun, so scheint das Treffen von Bush mit Hu ergeben zu haben, an einer Reduzierung des Defizits arbeiten. „Ich will betonen, dass China keineswegs ein explizites Interesse daran hat, einen Handelsbilanzüberschuss mit den USA zu etablieren“, so der chinesische Präsident fast entschuldigend. Man wolle künftig gerne mehr US-Ware importieren, um die Bilanz etwas mehr auszugleichen. Allgemein seien „die guten Beziehungen der beiden Länder eine Situation, in der beide Seiten gewinnen.“

Wenn die Wall Street die bilateralen Gespräche zwischen Bush und Hu nicht weiter zur Kenntnis nimmt, dann darf das nicht überinterpretiert werden. Auf dem Parkett ist man an einer Reduzierung des Defizits natürlich höchst interessiert. Allein, wie sehr sich Bush dafür einsetzen wird, ist unklar, zumal es bei den jüngsten Gesprächen nicht alleine um wirtschaftliche Belange ging. Auch auf der Tagesordnung: Die multilateralen Verhandlungen, die China und die USA gemeinsam mit Russland, Japan und Südkorea mit der Atommacht Nordkorea führen. Da geht es um die Bedrohung, die ein Mitglied der „Achse des Bösen“ der Welt sein könnte. Und dass solche Fragen Bushs wahres Steckenpferd sind und den Texaner eher aufregen als Verhandlungen über Defizite – auch das ist kein Geheimnis.


Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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